Wie ein Winzer am Bielersee das Bier neu erfindet – und dafür sein ganzes Herzblut in die Flaschen füllt
Eine Kellerei aus La Neuveville braut ihr Bier nicht, sondern lässt es wie Champagner in der Flasche gären. Wie aufwändig ist die Herstellung? Und wie reagieren Menschen bei einer Blindverkostung auf das Starkbier?
30.08.2024, 15:23
Ein Vormittag am Nordufer des Bielersees, die Sonne scheint auf die Reben, einzelne Wolken ziehen langsam über den Himmel. Oberhalb von La Neuveville, unter der rebenüberwachsenen Pergola des Weingutes neben dem Schloss, sitzt Markus Petrig, raucht einen Zigarillo und telefoniert.
Mit “du musst mich entschuldigen, die Presse ist da” unterbricht er sei Gespräch und drückt seinen Glimmstängel im Aschenbecher aus.
Vom Wein zum Bier
Er ist – gemeinsam mit seiner Frau Barbara – der Gutsbesitzer des Weingutes «Chante Merle», das ehemals der Rebberg des Schlosses oberhalb von La Neuveville war. Seit Kurzem verkaufen sie aber nicht nur Wein und Sekt, sondern auch Bier – allerdings kein klassisches.Das Ritterbier und das Söldnerbier, wie die beiden Sorten von Petrig auf Deutsch heissen, werden nämlich nicht wie üblich in grossen Gärtanks gegärt, sondern in der Flasche – genau wie Champagner. Daraus entsteht ein spezielles Starkbier, mit rund zwölf Prozent Alkoholgehalt.Petrig tischt je eine Flasche der beiden Biere auf und lässt den Korken knallen. Wie beim Champagner sind auch hier die Flaschen unter Druck. Daraufhin schäumt es gewaltig, Petrig schenkt die bernsteinfarbene Flüssigkeit des Söldnerbieres in Weingläser.
                            Das Starkbier schmeckt überraschend leicht und hat eine Honignote. Das Ritterbier, das im Gegensatz zum Söldnerbier keinen Hopfen enthält, ist heller in der Farbe, erinnert eher an Sekt als an Bier – auch vom Geschmack. Die Bitternote des Bieres fehlt hier komplett, der hohe Alkoholgehalt lässt sich nicht erahnen.
Eine Idee aus der Maturaarbeit
Petrig erklärt, dass er seit zehn Jahren Sekt aus seinen Trauben macht. Auf die Idee ist er mit seinem Sohn Fabio gekommen, als dieser seine Maturaarbeit zur Sektherstellung machte. Den heiklen Prozess der Flaschengärung beim Sekt, bei dem die Flaschen immer wieder gedreht und gerüttelt werden müssen, lässt er von einem Freund im Laufental machen, der Erfahrung in der Sektherstellung hat.
                            Das Bier habe sich daraus entwickelt. An einem Versektungs-Kurs hätte er mit seiner Frau ein belgisches Starkbier kennengelernt, das in der Flasche gegärt wurde. «Meine Frau, die Bier mag, hat es probiert und sofort gemocht», so Petrig. Allerdings habe der Brauer des Bieres nichts über die 12 Prozent Alkohol gesagt. «Ich musste meine Frau dann fast zum Auto zurücktragen.»Das war vor etwa fünf Jahren, danach setzte sich die Familie zusammen und braute ihr erstes Champagner-Bier.
Von der Idee zur Vermarktung
Geschmacklich überzeugte das Getränk die Petrigs auf Anhieb. «Ich war sofort Feuer und Flamme», sagt der Vater. Der Freund aus dem Laufental wurde dazugeholt, der aus Schweizer Weinen «Vin mousseux» – also Schaumwein, sprich Sekt – herstellt.Petrig lässt nun von der Bargener Brauerei Aarebier eine Maische herstellen, die er dann noch warm ins Baselländische zu seinem Freund fährt. Dort wird Hefe zugesetzt, das Bier in Flaschen gefüllt und dann gären gelassen. Nach drei Monaten – beim Champagner sind es drei Jahre – kommen die Flaschen wieder an den Bielersee, werden etikettiert und dann verkauft.
                            Die beiden Biere haben also nicht besonders viel mit dem Weingut oberhalb von La Neuveville zu tun, zumal auch keine Trauben in das Getränk gepresst werden. Dennoch ist Petrig stolz auf seine Biere, sie seien eine perfekte Ergänzung in seiner Palette und gerade für Menschen, die das klassische Bier nicht so mögen, eine perfekte Alternative.
Ein lohnendes Geschäft
Und mit dem Bier könne auch Gewinn gemacht werden – und zwar mehr als mit den Weinen, bei denen er pro Flasche lediglich zwei oder drei Franken Gewinn mache. «Da brauchen wir den Zustupf der Biere», sagt Petrig. 25 Franken kostet eine 75-Zentiliter-Flasche derzeit.
                            Von oben ruft eine Stimme: «Es gibt Mittagessen.» Es ist Markus Petrigs Frau Barbara. Er erhebt sich und geht die Treppen hoch – nicht ohne noch an seinem «Afrikazimmer», wie er es mit verschmitztem Grinsen nennt, Halt zu machen.Das «Zimmer» ist in Wahrheit der Balkon des alten Herrenhauses. Und das afrikanische darauf ist schnell gefunden: Ein Löwe, eine Oryxantilope und ein Krokodil begrüssen einen auf dem Balkon, dahinter liegt ein Leopard auf einem Baumstamm – allesamt ausgestopft, versteht sich. Irgendwie passt die skurrile Sammlung zur bewegten Geschichte des Hauses.
Ein Herrenhaus mit Geschichte
Das Gebäude im mediterranen Stil wirkt, als wäre es eine Mischung aus Herrenhaus aus dem Jura und Villa in der Toscana. «Chante Merle», wie das Anwesen heisst, wurde 1928 von einer Industriellenfamilie erbaut – auf den Fundamenten eines alten, wohl zum Schloss gehörenden Wirtschaftsgebäudes. In der Folge versuchten etliche ihr Glück mit dem stattlichen Anwesen, erzählt Petrig. Sie alle scheiterten im teuren Unterhalt.
Erst die Rückführung der Liegenschaft in die ursprüngliche Verwendung, den Weinbau, hätten das Haus wieder tragbar gemacht, erzählt der Hausherr. 1989 hat die Familie Petrig die verwahrlosten Anlagen übernommen und mit viel Hingabe instand gestellt und über die Jahre ausgebaut.
Familienbetrieb mit sozialem Engagement
Heute bauen die Petrigs auf rund drei Hektaren in den vier Gemeinden Ligerz, Twann, La Neuveville und Le Landeron fünf Sorten Trauben an, darunter Chasselas, Pinot Gris, Pinot Noir und Gewürztraminer. Alles unter dem Namen «Domain du Schlossberg» und als echter Familienbetrieb: Markus und der Sohn kümmern sich um die Schaumweine, Barbara und die Tochter Anna um die Rotweine und das Gut «Chante Merle».
                            «Wir sind zwar alles Quereinsteiger, aber mittlerweile sehr gut ausgebildet.» Jedes Jahr würden Barbara und Anna – die den Rotwein des Hauses keltern – gemeinsam Kurse an der Weinschule in Changins bei Nyon besuchen.
Markus Petrig erzählt von den vielen Steinen, die ihm in seinem Leben in den Weg gelegt wurden. Schon nur als er das Gut «Chante Merle» übernommen hat, hätten ihn alle nur belächelt. «All das habe ich nur dank der Menschen, die ich liebe, geschafft. Allen voran dank meiner Frau.»
Petrig geht in den dritten Stock, in dem die Küche und das Esszimmer sind. Darin wartet bereits eine ganze Truppe Menschen. Neben Petrigs Frau sind da auch seine Tochter Anna, sowie sechs Mitarbeiter – fünf davon mit geistigen Einschränkungen.
Arbeiten als Team
Seit langer Zeit beschäftigt die Familie Petrig Menschen mit Behinderungen, einige wohnen auch bei ihnen auf dem Weingut. Anna Petrig hat gerade Heilpädagogik studiert und leitet die Truppe – mit sichtlich viel Hingabe und Einfühlungsvermögen: Sie schaut, dass alle ihr liebstes Essen bekommen und steht bei Unsicherheiten und kleineren Problemen zur Seite. Sie soll in Zukunft die Leitung des Instituts von ihrer Mutter übernehmen.
                            Gegessen wird gemeinsam am Tisch, danach gehen nach und nach alle vom Tisch und wieder ihren Arbeiten nach. Markus Petrig entschuldigt sich, er müsse sich kurz hinlegen. Mutter und Tochter übernehmen nun die anstehenden Aufgaben: Barbara bleibt in der Küche und bereitet gemeinsam mit einem Mitarbeiter Häppchen für eine anstehende Hochzeit vor, Anna steigt in ein Auto und fährt runter ins Städtchen von La Neuveville.
Im Keller lagern die Schätze
In einem Hinterhof geht es dort eine unscheinbare Treppe runter. Hier lagern die Petrigs ihre Schätze: In Kisten türmen sich Weiss- und Rotwein, Schaumwein und eben das Champagner-Bier in der Kühle.
                            Praktischerweise mussten die Petrigs dafür gar keine Kühlung oder sonstige Vorrichtungen installieren. Denn in den Räumen war ehemals eine Supermarkt-Filiale einquartiert, weswegen ohnehin schon Kühlräume eingebaut waren. Im vorderen Teil, dort wo früher der Laden war, ist heute eine Wirtsstube, in der einmal die Woche die Getränke des Weingutes verköstigt werden können.
                            Und auch dort wollen sich die Petrigs noch breiter aufstellen: Sie haben die Bar ausgebaut, sodass sie diese in Zukunft als urbanes Airbnb vermieten können – an interessierte Gäste, die schon immer mal in einem Altstadthaus in einer Weinbauregion nächtigen wollten.
Zukunftspläne und Herausforderungen
Und wenn Not kommt, wird die Familie erfinderisch. So auch, als Markus Petrig jüngst erfuhr, dass sein sektherstellender Freund in Zukunft nur noch die Flaschengärung, nicht aber den Brauprozess für ihn machen könne.
                            Aufgeben ist für Petrig aber keine Option, er will sich nun eine Brauküche einrichten, wo er den heiklen Prozess selbst übernehmen kann.
Die Lust am Genuss hilft Petrig, Energie für all seine Projekte zu schöpfen. Er geniesst das Leben in vollen Zügen und sagt lachend: «Jeden Tag einen Whisky und eine Zigarre, das imprägniert von Innen.»