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Lange Nächte für weisse Pisten

Jeden Tag sind zahlreiche Leute rund um die Uhr in Skigebieten unterwegs, um Schnee herzustellen – meist ohne, dass es die Skifahrer:innen überhaupt mitbekommen. Eine Nacht draussen am Berg mit drei von Herstellern der weissen Pisten.


Nicolas Geissbühler (Anzeiger von Saanen)

22.12.2022, 10:14

Habe ich wohl genügend warme Kleider angezogen? Als ich mich vor der Talstation des Horneggli-Sesselliftes einfinde, ist die kalte Dezembernacht bereits angebrochen und es weht eine klirrend kalte Bise. Mir ist etwas mulmig zumute, werde ich doch die nächsten paar Stunden irgendwo dort oben in der Dunkelheit am Berg verbringen. Ausserdem mutet die menschenleere Talstation in der Nacht etwas apokalyptisch an.

Doch zuerst geht es an die Wärme: Auf dem Programm steht ein Besuch in der Beschneiungszentrale der Bergbahnen Destination Gstaad AG (BDG). Von Schönried aus können per Computer alle Schneekanonen und -lanzen im gesamten Gebiet gesteuert und überwacht werden – auch diejenigen an der Videmanette, der Wispile und am Eggli.

700 Schneeerzeuger – auf einen Klick

Ich steige über das Drehkreuz und gehe in der Talstation die Treppe hoch. Noch bevor ich die letzten Stufen erklommen habe, öffnet sich die Tür von innen. Martina Lüthi hat meine Schritte gehört und begrüsst mich in ihrem Reich – auf jeden Fall während eines Drittels des Tages, denn hier wird im Schichtbetrieb gearbeitet. Sie sitzt im Dachgeschoss der Station an einem grossen Schreibtisch, auf dem zwei Bildschirme stehen.

Darauf ist jeweils eine Karte mit unzähligen Symbolen zu sehen. Ich erkenne den Ausschnitt nicht auf Anhieb und brauche einen kleinen Moment, um etwa den Hornberg oder das Rüblihorn darauf auszumachen – und das, obwohl ich das Skigebiet seit meiner Kindheit in- und auswendig kenne.

Martina Lüthi überprüft aus der Beschneiungszentrale die Beschneier, die Fehlfunktionen melden.

Ich nehme mir einen Stuhl und setze mich neben Lüthi, die sogleich beginnt, mir zu erklären, was sie während einer Schicht so zu tun hat. Sie ist gelernte Schreinerin, arbeitet seit einigen Jahren aber bei der BDG. Die Beschneiung scheint fast eine Passion zu sein, denn auch im Sommer arbeitet sie mit den schweren Geräten, repariert oder verteilt sie im Gebiet. Im Winter übernimmt sie mit anderen Mitarbeiter:innen im Schichtbetrieb die Überwachung.

Dabei ist immer jemand in der Zentrale, also rund um die Uhr. Von hier aus können sie von Bildschirmen aus alle der über 700 Schneeerzeuger der BDG überwachen und steuern, also einschalten, herunterfahren oder neustarten.

Auch an diesem Abend gibt es einige wenige Probleme: Eine vollautomatische Lanze auf dem Saanerslochgrat hat keine Funkverbindung mehr, zwei Kanonen am Rinderberg melden Fehlfunktionen. Lüthi greift zum Hörer, funkt die jeweiligen Aussenteams an und schickt diese auf Kontrollgang.

Konstante hundert Bar Druck

Doch nicht nur die Kanonen müssen von der Zentrale überwacht werden: Auch die Pumpstationen, die das Wasser an die Kanonen oder in den Speichersee liefern, gehören dazu.

Besondere Aufmerksamkeit schenkt Martina Lüthi dabei den Pumpstationen zwischen Saanen und Rougemont, die Wasser aus der Saane direkt in die Kanonen fördern. Dabei muss der Druck aufrechterhalten werden, sonst fällt das System in sich zusammen.

«Nachtschichten sind nicht so meins»

«Ein Bar Druck braucht es, um das Wasser jeweils zehn Höhenmeter hochzupumpen», sagt Lüthi. Bei den über 1000 Höhenmetern bis an die Bergstation der Videmanette ist das eine ganze Menge. Sie justiert einige Ventile und nickt zufrieden.

Im Treppenhaus sind Schritte zu hören, kurz darauf betritt der grossgewachsene Nils Eymann die Zentrale. Er macht vor seinem Schichtbeginn einen Zwischenstopp, um von Lüthi einen Rapport zu erhalten – und mich mit an den Berg zu nehmen.

Kurze Lagebesprechung bevor es raus an die Kälte geht.

Wir fahren mit dem Auto zur Talstation der Saanersloch-Gondelbahn in Saanenmöser. Auf dem Weg dorthin erzählt er mir, dass er eigentlich Pistenfahrzeugfahrer sei. «Nachtschichten sind nicht so meins», sagt er.

Allerdings rechnet er damit, dass er bessere Arbeitszeiten erhält, sobald er seinen eigentlichen Job angetreten hat. In dieser Nacht arbeitet er von 21 Uhr bis 7 Uhr morgens. Wenn er künftig mit den Pistenfahrzeugen unterwegs ist, wird sein Einsatz etwa um 17 Uhr beginnen und um 2 oder 3 Uhr in der Nacht enden.

«So komme ich dann in einen einigermassen normalen Rhythmus und kann auch mal Freunde treffen oder so. Zurzeit schlafe ich fast den ganzen Tag durch, wenn die anderen wach sind.»

Die günstigste Tankstelle der Schweiz

Wir kommen in Saanenmöser in der grossen Garage unter der Gondelbahn an. Nils Eymann bereitet unser Raupenquad vor, mit dem wir diese Nacht unterwegs sein werden. Wir nehmen eines ohne Dach. «Die haben etwas mehr Kraft», erklärt Eymann.

Wir steigen auf – er vorne, ich hinten – und düsen die dunklen Pisten hoch. An der Mittelstation machen wir einen Stopp, um zu tanken. Ja, dort hat es tatsächlich eine Tankstelle! Sie ist nur für die Dienstfahrzeuge der BDG gedacht und als Preis pro Liter steht 1.00 Franken angeschrieben.

«Unschlagbare Preise, oder?», witzelt Eymann mit einem Schmunzeln. Mit vollem Tank fahren wir zum Pikettraum des Aussendienstes. Dieser befindet sich im Lifthäuschen des Hornfluhliftes auf dem Hornberg.

Dort wartet bereits das «Binom» von Eymann, Dominic Hauswirth. Auch er ist eigentlich als Pistenfahrzeugfahrer angestellt, beide in ihrer ersten Saison. Der Job war von beiden ein Bubentraum, der jetzt erfüllt wird.

Wir genehmigen uns einen Kaffee und gönnen uns eine kurze Pause. Nils Eymann und Dominic Hauswirth sprechen darüber, wie es denn sein würde, wenn sie «endlich» die schweren Pistenfahrzeuge fahren dürfen. Nils Eymann hatte bereits etwas «Fahrschule» und berichtet dem interessierten Dominic Hauswirth davon.

Dann muss aber auch noch gearbeitet werden. Wir brechen die kurze Pause an der Wärme ab, besprechen das Vorgehen für die nächsten paar Stunden, gehen dann in die Werkstatt. Dort ergreifen wir ein paar Werkzeuge und Ersatzventile für die Kanonen und Lanzen.

«Die verstopfen oft, manchmal müssen wir sie gleich austauschen», sagt Dominic Hauswirth. An die zehn verschiedene Ventiltypen sind dort feinsäuberlich in Schubladen zu finden.

Bei Unfällen abgesichert

Dominic Hauswirth ist ebenfalls mit einem Raupenquad auf den Hornberg gekommen, schon eine Stunde vor Nils Eymann. Ich steige wieder auf den Rücksitz, wir fahren los. Temporeich und holprig wie eine Achterbahn oder eine Fahrt auf der Geländepiste fühlt es sich an. Aber es macht auch genauso viel Spass.

Wir fahren auf den Saanerslochgrat, um die Schneelanze zu überprüfen, von der Martina Lüthi zuvor eine Fehlermeldung erhalten hat.

Mit der Lanze scheint alles in Ordnung zu sein, es dürfte sich nur um Probleme mit der Funkverbindung handeln. Allerdings ist ein Ventil verstopft. So senken Nils Eymann und Dominic Hauswirth den Kopf der Lanze ab und tauschen mit ein paar wenigen Handgriffen das verstopfte Ventil aus.

Wir fahren weiter in Richtung Horneggli, halten immer wieder an, um Schneeerzeuger zu überprüfen. Martina Lüthi ist aus der Zentrale übrigens immer dabei: Sie haben ständigen Funkkontakt, Lüthi führt Protokoll – auch als Sicherheit für die Aussendienstler.

«Die Funkgeräte haben alle einen Totmannschalter», sagt Dominic Hauswirth. Es wird also Alarm ausgelöst, sollte jemandem am Berg etwas zustossen. Dank den Protokollen weiss das Rettungsteam dann, wo sie suchen müssen.

«Es ist ein Miteinander»

Allgemein seien sie ein Team, die Leute helfen einander, betont Nils Eymann. Dafür ist einiges nötig: Bei Vollbeschneiung – also wenn mehr oder weniger alle Schneeerzeuger laufen – sind rund um die Uhr acht Leute im
Einsatz – pro Sektor, also einmal im Sektor West und einmal im Sektor Ost.

Dazu kommt die Wispile, die autonom funktioniert. Das sind gut 50 Leute, die Tag und Nacht im Einsatz sind und die man als Skifahrer kaum je zu Gesicht bekommt – das beeindruckt mich.

Wir sind mittlerweile bei unserer – meiner – letzten Station angekommen, Nils Eymann und Dominic Hauswirth werden noch die ganze Nacht unterwegs sein. Wir befüllen einen Generator am Horneggli, der nötig ist, um zwei spezielle Schneekanonen zu versorgen.

Danach stellen mich die beiden mit ihren Quads an der Talstation des Horneggli ab. Zufrieden nach diesem ereignisreichen und interessanten Abend, vor allem aber beeindruckt von all der Arbeit, die hinter den Kunstschneepisten steckt, blicke ich den Berg hinauf und freue mich schon, am nächsten Morgen wieder Schwünge mit den Skiern zu machen und von der Arbeit von den BDG-Mitarbeitenden zu profitieren.

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Nicolas Geissbühler

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