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Häuser verkauft und nicht gebaut: der Kampf eines Lengnauers gegen Bauindustrie und Justiz

Nadr Hida wollte sich in Lengnau seinen Traum vom Eigenheim erfüllen. Heute ist er finanziell und gesundheitlich ruiniert – und der Notar kommt ungeschoren davon.


Nicolas Geissbühler (Bieler Tagblatt / ajour)

25.10.2025, 8:32

Nadr Hida sitzt vor seinem Traum, einem eigenen Einfamilienhaus in Lengnau. Freuen kann er sich nicht, er ist sichtlich aufgebracht. «Sie haben mich so was von über den Tisch gezogen», sagt er mit ernster Miene. Er sei nervlich und finanziell am Ende, seine Stimme zittert vor Wut, er hat Tränen in den Augen. Was ist passiert? Er hat im Dezember 2018 einen Generalplanervertrag mit einer Zuger Firma abgeschlossen. Sie sollte Hida ein Einfamilienhaus bauen, mit vorgefertigten Betonelementen. In kurzer Zeit und zu tiefen Kosten. Hida brauche nur zu bezahlen und könne in sechs Monaten in das fertige Haus einziehen, wurde ihm versprochen.

Doch es kam anders. Aus den sechs Monaten wurden Jahre, der Einzugstermin wurde immer wieder von der Firma bestätigt und dann wieder nach hinten geschoben. So schulte er seine damals neunjährige Tochter bereits in Lengnau ein und beantragte dafür eine Verfügung für einen ausserkantonalen Schulbesuch, bis der Umzug erfolgen würde. Als die Familie ein Jahr später immer noch nicht in das Haus einziehen konnte, hob der Kanton Solothurn die Verfügung auf und die Tochter musste die Schule in Lengnau wieder verlassen.

Schulden, Streit und gesundheitliche Probleme: Nadr Hida leidet unter den Folgen. Dylan Bourquin

Und immer wieder kamen neue Kosten zum Vorschein – etwa angedrohte Pfändungen durch Baufirmen, die sagten, sie hätten das von Hida an die Bank eingezahlte Geld nicht bekommen. Die geforderten Beträge beliefen sich insgesamt auf über 60’000 Franken. Dabei hatte Hida mittlerweile beinahe den gesamten vertraglich abgemachten Betrag überwiesen. Vom zuständigen Generalplaner wurde er immer nur vertröstet. Wo das Geld war, konnte niemand erklären. Hida war dabei kein Einzelfall, wie Recherchen von SRF Investigativ und ajour.ch zeigten.

Vertrag aufgelöst, Anwalt genommen

Letztlich löste Hida den Vertrag auf und nahm sich einen Anwalt. «Ich musste handeln.» Er liess das Haus selbst fertig bauen, wofür er die Hypothek aufstocken musste. Ausserdem lieh ihm seine Familie über 150’00 Franken. Insgesamt musste Hida eine Viertelmillion draufzahlen.

Neben dem Generalplaner und dem Architekten, die an mehreren ähnlichen Vorfällen in der ganzen Schweiz beteiligt sind, sieht Hida grobe Fehler beim Notar, der involviert war.

Der Notar ist Partner bei einer Bieler Anwaltskanzlei und war laut Vertrag, der ajour.ch vorliegt, für Kontrolle und Bautreuhand zuständig. Also dafür, dass alles Geld korrekt eingesetzt wird. Er verwaltete ausserdem die Gelder, ist somit die einzige Person, die sagen kann, wo sich die fehlenden Gelder befinden.

Nadr Hida stieg aus dem Vertrag aus und liess sein Haus selbst fertig bauen. Dylan Bourquin

Der Briefaustausch zwischen Hidas Anwalt und dem Bieler Notar, der ajour.ch vorliegt, zeigt einige Ungereimtheiten. In einem ersten Schritt verlangte der Anwalt, dass der Notar mit Belegen aufzeigt, wo sich das fehlende Geld befindet. Ausserdem warf er dem Notar vor, seine Pflicht verletzt zu haben, und forderte, dass dieser für den geforderten Betrag der Pfändung aufkommt.

Der Notar antwortete darauf, er unterliege einer Schweigepflicht betreffend den Zahlungsverkehr. Da wurde der Anwalt stutzig. Eigentlich ist die Bautreuhand dem Bauherrn, also Nadr Hida, und sonst niemandem verpflichtet. Sie soll als unabhängige Instanz die Kontrolle wahren. Nach etlichen Schreiben hin und her bestätigte der Notar schliesslich: Er habe einen Vertrag mit dem Generalplanerunternehmen und nicht mit Hida. Eine offensichtliche Verletzung der Pflichten des Notars, findet der Anwalt, der sich im Nachhinein nicht mehr gegenüber ajour.ch äussern wollte.

Notar sieht keine Pflichtverletzung

Im weiteren Verlauf des Brief- und Mailverkehrs weist der Notar praktisch jegliche Schuld von sich. Er sieht keine Pflichtverletzung. Dafür sagt er, die Pfändungsforderungen seien zumindest teilweise nicht rechtens, weil die Baufirmen unsauber gearbeitet und sich nicht an Termine gehalten hätten.

Eine Verzichtserklärung, dass der Fall nicht verjährt, wollte der Notar mehrmals nicht unterschreiben. Zu diesem Zeitpunkt war – wegen der sich streckenden Baudauer – ohnehin schon einiges verjährt. So war es unmöglich, eine Beschwerde bei der Disziplinaraufsicht zu platzieren, dass der Notar seine Pflicht verletzt hat. Aber es war noch möglich, gegen eine unsorgfältige Zahlungsabwicklung zu klagen und den Notar anzuzeigen. Und genau das tat Hida schliesslich mit seinem Anwalt zusammen.

Die Notariatsaufsicht eröffnete schliesslich ein Disziplinarverfahren gegen den Notar, wie die Justizdirektion des Kantons Bern gegenüber ajour.ch bestätigt.

Nadr Hida kämpft rechtlich und klagt gegen den Notar. Dylan Bourquin

Zwei Jahre später schloss die Justizdirektion das Disziplinarverfahren sanktionslos. Die Begründung, die ajour.ch vorliegt: Bei seiner Haupttätigkeit, der Beurkundung, habe der Notar seine Pflichten nicht verletzt. Und die Funktion der Treuhand habe der Notar nur «nebenberuflich» ausgeübt und deswegen werde bei dieser nicht die Berufspflicht, sondern das Auftragsrecht angewendet.

Die Justizdirektion sagt nicht, ob sich der Notar dabei korrekt verhalten hat.

Grosses Unverständnis bei Entscheid

Für den Anwalt ist der Entscheid nicht nachvollziehbar. Die Begründung falle äusserst knapp aus und setze sich seiner Meinung nach zu wenig mit der Verletzung der Interessenswahrung auseinander. Die Problematik, dass der Notar für die «Gegenpartei» der Familie Hida arbeitet, wurde im Entscheid gar nicht thematisiert. Auch das ist für den Anwalt unverständlich. «Man hat den Eindruck, dass sich die Aufsichtsbehörde gar nicht damit auseinandersetzen wollte», schreibt er.

Simone Mülchi, Präsidentin des Verbands bernischer Notare, hat Verständnis, dass dies stossend wirkt. Streng genommen würde zwar die Aufgabe der Bautreuhand tatsächlich in den nebenberuflichen Bereich eines Notars fallen, sagt sie. Die staatliche Aufsicht und damit die Verhängung von Massnahmen betrifft die hauptberufliche Tätigkeit, also die notarielle Tätigkeit im engeren Sinn, die den Notarinnen und Notaren vorbehalten ist. Dazu gehört das Verfassen von Urkunden. Trotzdem gelten die Berufspflichten auch in nebenberuflicher Tätigkeit, und nach Einschätzung von Mülchi hätte die Notariatsaufsicht durchaus die Möglichkeit, gegen fehlbares Verhalten vorzugehen – auch in der Funktion als Bautreuhand.

Ohne die Details des Falles zu kennen, könne sie kein Urteil fällen, sagt Mülchi. Aber: «Es geht um das Ansehen des gesamten Berufszweiges. Man ist 24/7 als Notar unterwegs und man hat sich in allen Bereichen an die Berufspflichten zu halten.» Und selbst wenn es sich streng genommen um eine nebenberufliche Tätigkeit handelt und die Notariatsaufsicht deswegen keine Sanktionen sprach, könnte man vor einem Zivilgericht gegen die Vernachlässigung der Aufgaben der Bautreuhand vorgehen.

Keine Beweise für Bautreuhand

Die Direktion für Inneres und Justiz des Kantons Bern, der die Disziplinaraufsicht für Notare unterstellt ist und welche über die Anzeige von Nadr Hida entschied, erklärt auf Anfrage: Allgemein gesprochen gelten auch für nebenberufliche Engagements die Berufspflichten. In diesem Fall allerdings hätten sich keine schriftlichen Beweise dafür finden lassen, dass der Notar tatsächlich vertragliche Schutzpflichten gegenüber Hida übernommen hatte.

Im Generalplanervertrag der Hidas etwa, der ajour.ch vorliegt, ist der Notar zwar als Bautreuhand aufgeführt. Es fehlt aber jegliche Unterschrift des Notars, die eine solche Nennung rechtlich bindend machen würde. Der Notar sei lediglich mit der Erstellung einer öffentlichen Urkunde für den Kauf des Baulands beauftragt gewesen, der Werkvertrag sei nicht von diesem Notar ausgestellt worden, sagt die Justizdirektion. «Die notariatsrechtlichen Pflichten gelten daher nur für den Baulandkauf, nicht aber für den Werkvertrag.» So konnte die Disziplinaraufsicht auch keine Pflichten feststellen, dass der Notar den Baufortschritt hätte überprüfen sollen. Auch das Geld musste gemäss Werkvertrag direkt an den Generalunternehmer und nicht an die Bautreuhand eingezahlt werden. Es sei erstaunlich, dass der Generalunternehmer einen Vertrag vorweist, der vom Notar nicht unterschrieben worden ist.

Der Notar ist zwar in einigen Bauverträgen erwähnt, hat aber nirgends unterschrieben. Dylan Bourquin

Der besagte Notar habe einen einwandfreien beruflichen Leumund, so die Justizdirektion weiter.

Der Notar will sich nicht zu den Vorwürfen äussern und verweist auf die Schweigepflicht.

Hida fühlt sich im Stich gelassen

Nadr Hida ist fest davon überzeugt, dass sich der Notar nicht korrekt verhalten hat. Trotz Kontrollfunktion habe er die Familie hängen lassen. Er fühlt sich von ihm, dem Generalplaner, aber auch der Justiz im Stich gelassen. Sein Anwalt hatte ihm damals abgeraten, die Sache weiterzuziehen, das bereue er heute.

Hida hat mittlerweile alle seine Schulden beglichen. Aber immer wieder kommen neue Rechnungen, zuletzt vor einigen Wochen, als die Gemeinde knapp 23’000 Franken für die Wasseranschlüsse verlangte. Hida musste mittlerweile seine Altersvorsorge anzapfen und hat etliche Änderungen zum ursprünglichen Bauplan einfach hinnehmen müssen. «Statt eines Gartensitzplatzes habe ich nun Asphalt vor der Nase», sagt er. Man habe die Strasse statt wie ursprünglich geplant neben seinem Grundstück direkt darüber verlaufen lassen – ohne finanzielle Entschädigung für das verlorene Bauland. 162 Quadratmeter Land hat er so verloren – und ist im Streit mit den Nachbarn, die die Strasse über Hidas Land brauchen, um zu ihren Häusern zu kommen. Weil der Notar es versäumt habe, das Wegrecht zu regeln. Die Nachbarn wollen allerdings nichts von einem solchen Streit wissen.

Diese Quartierstrasse verläuft ungeplant über Hidas Land – ohne dass die Nachbarn Wegrecht hätten. Dylan Bourquin

Der ganze Ärger habe sich letztlich körperlich bemerkbar gemacht und Hida musste operiert werden. «Entweder Ihre Gesundheit oder das Haus», hätten die Ärzte ihm gesagt.

Er rechnet mittlerweile nicht mehr damit, dass er noch irgendwelche Gelder zurückbekommt.

Hida will weiterkämpfen und warnen

Trotzdem will er weiterkämpfen, auch nur schon um andere vor gleichen Fehlern zu warnen: «Ich habe mir die Hände verbrannt und wollte verhindern, dass das auch anderen passiert.» So habe er auch die Gemeinde Roggwil, in welcher die gleiche Baufirma eine ähnliche Überbauung plante, vor der Firma gewarnt. Mehrmals, schriftlich und mit Anwalt. Doch diese habe nichts davon wissen wollen und die Baubewilligung erteilt, sagt Hida verständnislos. «Es kann doch nicht sein, dass Bürger Gemeinden anleiten müssen!»

Die Überbauung in Roggwil ist heute eine Bauruine, wie das SRF herausfand. Einige Häuser stehen halb, von anderen ist lediglich der Aushub gemacht. Die Baufirma ist in Konkurs gegangen. Und auch dort gab es Folgen für die Bautreuhand: Die Berner Kantonalbank hat gegenüber SRF Fehler zugegeben (ajour berichtete).

Gegen den Generalplaner ermittelt die Berner Staatsanwaltschaft, vor Kurzem fand die Einvernahme statt. Auf Anfrage teilt die Staatsanwaltschaft mit, dass «die sehr umfangreiche Untersuchung nach wie vor im Gange» sei.

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Nicolas Geissbühler

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