
Festivalkrise: «Wir haben schlaflose Nächte»
Utopische Gagen und sinkende Gästezahlen haben dem Royal Arena Festival in Orpund den Stecker gezogen. Der Co-Veranstalter sagt, weshalb das dem Lakelive in Nidau nicht passieren soll.
3.12.2024, 17:49
Lukas Hohl, Festivals sind nicht mehr der Selbstläufer wie vor 15 Jahren. Was ist anders?
Lukas Hohl: Früher ging man mit dreckigen Turnschuhen an Festivals, fand es geil, zwei, drei Tage zu zelten – und heute hast du kaum ein Festival mehr, das überhaupt noch einen Campingplatz hat. Viele Besucher kommen nur für einen Tag und gehen dann ins Hotel. Die Älteren sind bequemer geworden, die Jungen zurückhaltender. Du musst sehr vieles richtig machen, dass jemand Junges ein Ticket kauft. Hinzu kommt, dass die Menschen immer spontaner Tickets kaufen. So bangen wir jeweils bis zum Schluss.

Was sind denn im Moment die grössten Schwierigkeiten für Sie als Festivalorganisatoren?
Die grössten Herausforderungen liegen wie immer im Booking, also Künstlerinnen und Künstler für die grossen Bühnen zu finden. Diese Problematik ist nicht neu und wird auch in zehn Jahren noch existieren, aber sie spitzt sich zu. Ein attraktives Musikprogramm zusammenzustellen, das sowohl die Erwartungen des Publikums erfüllt als auch bezahlbar bleibt, ist ein Kraftakt. Hinzu kommt, dass der Markt sehr schnelllebig ist. Was uns unterscheidet, ist unser Konzept: Wir wollten von Anfang an mehr sein als ein reines Musikfestival. Mit einer Mischung aus Musik, Sport und Kultur haben wir uns ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Das hat uns nicht nur einzigartig gemacht, sondern uns auch in schwierigen Zeiten Stabilität verliehen.
Man spricht immer wieder von einer Festivalkrise. Weshalb?
Müssen wir wirklich von einer Krise sprechen? Viele Festivals kämpfen mit sinkenden Besucherzahlen, während die Kosten steigen. Vor allem unabhängige Veranstalter, die nicht von grossen Konzernen wie Live Nation oder Eventim gestützt werden, haben es schwer. Trotzdem glauben wir, dass unser Festival mit einem eigenen Konzept und sehr starker regionaler Verankerung bestehen kann. Aber klar, es bleibt eine Herausforderung, sich in diesem komplexen Markt zu behaupten.
Welche Rolle spielen diese internationalen Booking-Agenturen wie Live Nation?
Eine sehr grosse. Diese Agenturen bündeln Künstler, Festivals und Ticketplattformen und schaffen so ein System, in dem unabhängige Veranstalter wie wir kaum mithalten können. Auch in der Schweiz sind mittlerweile viele Festivals an diese internationalen Konzerne angeschlossen. Wenn diese Firmen einen Künstler unter Vertrag haben, werden deren eigene Festivals bevorzugt – und das spüren wir.

Gelingt es denn dem Lakelive überhaupt noch, grosse Acts zu verpflichten?
Schlaflose Nächte wegen des Bookings gehören aktuell bei uns zur Tagesordnung, um es direkt zu sagen. Es gibt so viele Faktoren: Timing, Finanzen, Verfügbarkeit. Grosse Künstler haben oft straffe Tourpläne. Wenn ein Slot in der Schweiz nicht ins Timing passt, ist man raus. Hinzu kommt, dass inzwischen utopische Gagen verlangt werden – oft ist der erste genannte Betrag komplett unrealistisch und realitätsfremd. Wir müssen dann sehen, ob wir eine Lösung finden, die ins Budget passt.
Sind die Künstlergagen in den letzten Jahren stark gestiegen?
Ja, das ist eines der Hauptprobleme. Solange es Veranstalter gibt, die horrende Summen zahlen, wird sich daran nichts ändern. In der Schweiz stört uns eine ähnliche Entwicklung: Junge, aufstrebende Künstlerinnen und Künstler verlangen teilweise bereits sehr früh hohe Gagen ohne Wenn und Aber. Dabei wäre es mindestens genauso wichtig, gute Beziehungen zu knüpfen und eine Bühne zu haben. Auch wir haben in den Anfängen unserer Eventfirma öfters Aufträge angenommen, bei denen wir zwar nichts verdienten, die uns aber andere Türen geöffnet haben.
Gibt es Künstler und Künstlerinnen, die Sie früher gebucht haben, heute aber zu teuer wären?
Leider viele. Ein Beispiel ist Cypress Hill. Ihre Gage hat sich im Vergleich zu vor acht Jahren, als wir sie buchten, verdoppelt, aber wir haben 2023 nur halb so viele Tickets verkauft wie damals. Das zeigt, wie dramatisch sich der Markt, respektive die Nachfrage verändert hat.

A$AP Rocky gehört wohl auch dazu.
Ja, definitiv. Als er 2019 beim Royal Arena auftrat, war das ein Glücksfall. Alles hat gepasst: der Tourplan, die Daten, der Kontakt zu den Agenten – und wir hatten das Budget. Heute wäre das undenkbar. Die Gagen für Künstler in seiner Liga sind explodiert, und ohne massive Unterstützung könnten wir das nicht mehr stemmen. Dass wir A$AP Rocky damals hatten, war ein Highlight, das wir so wohl nicht so schnell wiederholen können.
War es einfacher, Leute für das Hip-Hop-Festival Royal Arena zu begeistern, als für das Lakelive, das ein gemischtes Festival ist?
Ja, vor einigen Jahren war dies einfacher. Aber das hat sich geändert. Das beste Beispiel war der Royal-Arena-Abend am Lakelive diesen Sommer mit Nas und Trettmann. Diese Acts hätten wir auch am Royal Arena so gebucht. Aber dort wäre der Abend so nicht finanzierbar gewesen. Diese Tatsache war für uns die Bestätigung, dass der Entscheid, das Royal Arena vorerst auf Eis zu legen, der richtige war. Das Lakelive dagegen hat ein breiteres Fundament. Wir können auf Sponsoren und verschiedene Förderungen zählen. Das Royal Arena war stärker auf Ticketverkäufe angewiesen, und das wurde zum Problem.
Das klingt, als ob ein Revival des Royal Arena in den nächsten zwei Jahren unrealistisch ist.
Das kann man so sagen. Die Kosten für Künstler, Infrastruktur und Organisation sind schlicht nicht mehr tragbar. Dazu kommt, dass Hip-Hop heute an jedem Stadtfest oder Festival mit gemischter Musik zu hören ist. Das war vor zehn Jahren anders, als das Royal Arena eine klare Nische bediente. Ein Comeback sehen wir deshalb aktuell nicht.
Es bräuchte also auf allen Ebenen einen Gegentrend.
Genau. Es müsste eine Art Marktbereinigung geben: weniger Konzerte, tiefere Gagen und eine Entspannung auf dem Sponsorenmarkt. Es bräuchte ein kleines Wunder, aber das ist utopisch. Der Wettbewerb ist hart, und wir haben keinen Mäzen oder eine Stadt, die uns finanziell gegen ein Defizit absichert – weder beim Royal Arena noch beim Lakelive.
Ein paar Gedankenspiele: Was, wenn man das Royal Arena in einem grösseren Rahmen, über drei Tage oder zwei mal zwei Tage über zwei Wochenenden verteilt, durchführt?
Das Risiko wäre zu gross. Wir haben in den letzten Jahren viel Geld verloren, und ohne finanzielle Absicherung können wir uns das nicht leisten. Sprich, es wäre fahrlässig und wir würden einen Konkurs riskieren. Das haben wir stets verhindern wollen, uns war immer wichtig, alle Rechnungen bezahlen zu können.
Und was, wenn man es sehr viel kleiner durchführt, mit nur einer Bühne und nur Schweizer Künstlern?
Das würde dem Konzept des Royal Arena nicht gerecht werden. Die Leute würden sich fragen, warum es plötzlich so klein ist und das kaum akzeptieren. Gesund und richtig klein zu werden, ist extrem schwierig.
Also gibt es definitiv kein Royal Arena Festival mehr?
Das ist wohl der realistischste Ansatz.
Zurück zum Lakelive: Stirbt das auch bald?
Nein, wir sind breit abgestützt und wollen über die Generationen hinaus wirken. Unser Ziel wäre, dass eine Familie den Tag mit den Kindern am Lakelive am See verbringt, die Kinder dann zu den Grosseltern gehen und die Eltern bleiben für die grossen Konzerte am Abend. Und im besten Fall erinnert sich das Kind zehn Jahre später daran und sagt: «Jetzt will ich auch an die grossen Konzerte.» Das ist unsere Vision und für diese geben wir Tag für Tag alles. So versuchen wir den Trend, dass Junge immer weniger an Festivals kommen, umzukehren.

Das klingt vielversprechend. Gehört das Lakelive also bald zu den grössten Festivals der Schweiz?
Wir wissen, dass wir in einer anderen Liga spielen als die ganz Grossen. Wir versuchen nicht, mit ihnen zu konkurrieren, sondern setzen auf Qualität und ein breites und einzigartiges Angebot. Musik bleibt unser Kern, aber Sport- und Kulturprogramme machen uns einzigartig. Uns ist bewusst, dass wir nie die ganz grossen Headliner haben werden, die fünfmal das Hallenstadion füllen, aber das ist auch nicht unser Anspruch. Vielleicht können wir diese Acts dafür vielleicht zehn Jahre später auf unsere Bühne holen.
Das klingt so, als wäre die Ausgabe 2025 nicht die letzte.
Nein. Wir haben sehr viel Liebe, Herzblut, Schweiss und Tränen investiert und sind jetzt an einem Punkt, wo die Leute unser Konzept, unsere Vision begreifen, mittragen und feiern. Wir haben treue Partner, die viel Vertrauen in unser Konzept haben, zudem ein eingespieltes, engagiertes Team. Das alles motiviert extrem. Und wir haben die Politik von links bis rechts mehr oder weniger hinter uns – und das muss man in unserer Region erstmal schaffen. Wir haben gerade erst die Leistungsverträge mit den Städten Biel und Nidau für die nächsten drei Jahre unterschrieben und hoffen, dass dies nicht die letzten waren.