
Eine Millionenfrage: So komplex ist künstliche Beschneiung
Kunstschnee ist mit der fortschreitenden Klimakrise zunehmend notwendig. Doch die künstliche Beschneiung ist eine Challenge, die von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird und viel Geld kostet. Der Bergbahnchef gibt einen Einblick.
22.12.2022, 8:22
Weihnachten steht vor der Tür und damit beginnt die Hauptsaison für Skigebiete, so auch für die Destination Gstaad. Der ausgebliebene grosse Schnee macht das technische Beschneien zwingend notwendig, wenn man nicht auf das lukrative Weihnachtsferiengeschäft verzichten möchte.
Das Hauptziel ist, möglichst viele Pisten und Bahnen spätestens an Weihnachten zu öffnen. Dieses ist mit den jüngsten meteorologischen Prognosen arg in Gefahr. Dabei spielen viele Faktoren mit, die mit beeinflussen, ob eine Piste geöffnet werden kann. Und es kann teuer werden.
Problem Strompreise
Die Strompreise sind durch die drohende Energieknappheit dieses Jahr stark gestiegen. So bezahlt auch die BDG mehr, obwohl sie den Strom für den Bergbahnbetrieb vorgängig für mehrere Jahre eingekauft hat: «Die Beschneiungsfenster sind nicht vorhersehbar, daher können wir diesen Strom nur an der Tagesbörse einkaufen», sagt der Geschäftsführer Matthias In-Albon.
Die Strompreise hätten sich im Vergleich mit den Vorjahren ungefähr verdreifacht und gegenüber vor zwei Jahren sogar zeitweise verzehnfacht, erklärt Sandro Karlen, Leiter Finanzen: Für eine Kilowattstunde bezahlt die BDG am Tag nun etwa 50 bis 60 Rappen, in der Nacht 30 bis 40 Rappen, wo in den Vorjahren im Schnitt nur etwa 15 bis 30 Rappen bezahlt werden mussten. Die BDG braucht vor allem für den Wassertransport auf den Berg viel Strom, dass diese Summen keineswegs vernachlässigbar sind, zeigt folgendes Beispiel: Ein einziger Tag mit Vollbeschneiung – das bedeutet, alle Pumpen und eine Mehrheit der Schneeerzeuger laufen – verursacht für die BDG Stromkosten von ungefähr 130’000 bis 180’000 Franken.
Die gesamte Beschneiung des Gebietes beläuft sich auf rund 2,5 Millionen Franken. Im Vorjahr bezahlten die Bergbahnen gerade mal 1,6 Millionen Franken. Hinzu kommt, dass die Tagespreise stark schwanken und der Strom beispielsweise an Wochenenden – mit etwa 35 Rappen pro Kilowattstunde – wesentlich günstiger ist. Dass die drei Kältefenster vor allem am Wochenende und in der Nacht waren, ist der BDG kostenmässig zugute gekommen, so konnte sie fast ausschliesslich dann beschneien.
Problem Wetter
Die technische Beschneiung ist zudem stark vom Wetter abhängig: Ausschlaggebend ist dabei die Feuchtkugeltemperatur, also eine Mischrechnung aus Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Grundsätzlich gilt: Je kälter und trockener, desto besser. Es kann aber dazu führen, dass die Temperatur weit unter Null Grad liegt, die Luftfeuchtigkeit aber so hoch ist, dass kein technischer Schnee erzeugt werden kann. Dieses Jahr sei das Wetter besonders wechselhaft und teils feucht gewesen, sagt Matthias In-Albon: «Wir hatten das Glück, dass wir oft kalte Wochenenden hatten, an denen wir verhältnismässig günstig beschneien konnten. Dafür gab es sonst jeweils starke Wetterumbrüche und Wärmeeinbrüche, was eine grosse Flexibilität von uns verlangte. Dadurch konnten wir selten länger am Stück beschneien. Zudem gab es oft Niederschlag zur falschen Zeit.» Als weitere Faktoren kommen die geografischen Gegebenheiten der Region hinzu: Laut In-Albon spielen Mikroklimata keine unwesentliche Rolle, da in den verschiedenen Tälern oft andere Wetterbedingungen vorherrschen.
Problem Pumpanlagen
Ein weiteres Element der Beschneiung, das oft vergessen wird, ist die Frage, wie man genügend Wasser auf den Berg bringt. Die BDG hat hierfür zwei verschiedene Systeme: Im Sektor Ost (Rinderberg, Saanersloch, Horneggli) gibt es einen Speichersee, während der Sektor West (Eggli, Videmanette) ein Pumpsystem hat, welches das Wasser von der Saane direkt in die Schneeerzeuger pumpt. Dabei muss der erzeugte Druck genau stimmen, sonst funktioniert die Schneeproduktion nicht. «Das bedeutet, dass man nicht beliebig viel Wasser an Kanonen und Lanzen geben kann, da sonst das System zusammenbricht», so In-Albon.
Der Sektor Ost mit dem Speichersee ist weniger fragil. Da der See an einem der höchsten Punkte des Gebietes liegt, kann durch Eigenwasserdruck der Grossteil des Gebietes praktisch ohne weiteren Stromverbrauch beschneit werden. Dafür muss das Wasser erst mit Hochdruckpumpen auf den Berg transportiert werden. Und das kostet: «Eine Seefüllung kostet uns im Moment etwa 70’000 Franken, plus 20’000 Franken Netzkosten. Und das obwohl wir den See immer zu den günstigen Randzeiten in der Nacht oder am Wochenende befüllen», erklärt Karlen. Um dort flexibler zu sein, plant die BDG den Speichersee auf dem Hornberg um etwa das Vierfache zu vergrössern (wir haben berichtet).
Volkswirtschaft vs. Betriebswirtschaft: Das grosse Pokerspiel
Wie lange lohnt sich denn dieses Spiel wirtschaftlich noch? «Es ist nie eine reine wirtschaftliche Rechnung. Wir betreiben in einem gewissen Sinn einen Service Public. Wenn es keine Bergbahnen und keinen Wintersport mehr gibt, bleibt auch ein Grossteil der Gäste aus und das wäre verheerend für die Destination», sagt In-Albon.
Somit sei es immer ein Abwägen zwischen Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft. Und auf finanzielle Probleme stösst die BDG durch die aktuelle Lage kurzfristig nicht: «Diese enorm hohen Energiekosten bedeuten, dass wir weniger Investitionen für die Zukunft tätigen können, aber nicht, dass wir aktuell vor Problemen stehen», fügt Karlen an.
Investitionen für höhere Energieeffizienz
Laut Matthias In-Albon und Sandro Karlen von der BDG hat diese in den vergangenen Jahren zahlreiche Investitionen getätigt, um Energie effizienter einsetzen und sparen zu können. Was wurde alles gemacht und inwiefern hilft es?
Infrastruktur
Zahlreiche Immobilien der BDG wurden renoviert, unter anderem zwei alte Heizungen ausgebaut und die betroffenen Gebäude an Wärmepumpen angeschlossen.
Pistenfahrzeuge
Die Pistenfahrzeuge wurden alle mit Schneehöhenmessgeräten ausgestattet. So misst jedes Pistenfahrzeug ständig die Höhe der Schneedecke unter sich. Dies lässt die BDG sehr viel präziser sagen, wo es noch Schnee braucht und wo es bereits genug hat. «So beschneien wir nicht an Stellen, die bereits mehr als genug Schnee haben», so Karlen.
Schneeerzeuger
Hier werden regelmässig Investitionen getätigt. Alte, ineffiziente Schneeerzeuger wurden ausgetauscht oder Teile wie die Lanzenköpfe ersetzt, sofern es effizientere Geräte auf dem Markt gibt. So hat man beispielsweise die alten Schneelanzen unten an der Videmanette auf diese Saison hin durch wesentlich wirkungsvollere Schneekanonen ersetzt, die allerdings mehr Strom verbrauchen.
Alles in allem kann die BDG mit diesen Massnahmen insgesamt 1,9 Gigawattstunden an Strom pro Jahr einsparen, was etwa 20 Prozent des Verbrauches der BDG entspricht.
Dabei gleicht die Planung der Beschneiung einem Pokerspiel: Produziert man Schnee zu den teuren Tagespreisen, wenn es kalt ist, oder hofft man darauf, dass es bis zur Hochsaison noch genügend kalte Nächte und Wochenenden gibt, an denen der Strom günstiger ist? Oder pokert man gar auf den grossen Naturschnee und fährt die kostspielige künstliche Beschneiung zurück?
Pisten nun doch in Gefahr?
Die Planung der BDG schien bis zuletzt aufzugehen: «Bis vor kurzer Zeit waren wir noch sehr zuversichtlich», sagt In-Albon. Allerdings mussten aufgrund des Wärmeeinbruchs vor zehn Tagen kurzfristige Planänderungen beschlossen werden. So öffnete die BDG das Skigebiet um die Videmanette nicht wie geplant am letzten Wochenende, sondern beschloss dieses letzte kalte Wochenende vor Weihnachten nochmals zum Beschneien zu nutzen.
«Dadurch, dass wir das Gebiet noch nicht öffneten, konnten wir nochmals voll durchschneien – etwas, das mit Gästen auf der Piste nur schwer zumutbar ist», so der Geschäftsführer. Ausserdem haben sie erst anfangs dieser Woche entschieden, die Pisten nicht breiter zu machen, um so eine gewisse Schneedicke mit genügend Reserve zu haben. Nur so könne jetzt während des Wärmeeinbruches und des Regens sichergestellt werden, dass die Pisten nicht schmelzen.
Doch im Verlauf der Woche wurde nun klar: Es soll mehr Regen geben als Anfangs angenommen. Ein erneuter Rückschlag. Somit entschied die BDG, heute Freitag und Samstag alle Anlagen zu schliessen und so die Pisten zu schonen. Die Mitarbeiter:innen von den nun geschlossenen Bergbahnen stehen nun beispielsweise am Schopfen- und am Standlift im Einsatz, um dort gemeinsam mit Skilehrer:innen das Lifttrassee zu festigen – mit Schaufeln in Handarbeit.
So sollen gute Skipisten für die Altjahrswoche bereitgestellt werden können. In-Albon sagt abschliessend: «Schlussendlich ist und bleibt diese Beschneiungsthematik ein riesiges Spannungsfeld zwischen verschiedensten Faktoren.»