Wer am Donnerstagabend bei den Bieler Stadien war, konnte meinen, der EHC Biel befinde sich noch immer in den Playoffs. In Scharen füllten die Menschen Busse und strömten um die Tissot Arena. Und das, obschon die erste Mannschaft sich bereits in die Ferien verabschieden musste. Denn: Das U20-Team spielt noch und hatte das erste Playoff-Finalspiel in der höchsten Schweizer Juniorenliga.

In der Tissot Arena – der Eintritt war frei – sammelten sich die Menschen vor allem auf der Nordtribüne, gegenüber der Spielerbank. Die Sitzplätze waren beinahe vollständig besetzt und auch in der Kurve fanden sich über 100 Fans. In den Katakomben sammeln sich die Bieler Nachwuchsspieler, von denen einige regelmässig in der National League zum Einsatz kamen oder in der Swiss League Stammspieler waren. Sie sind bereit und befeuern einander mit Schlachtrufen. Als sie aufs Eis treten, werden sie mit Applaus begrüsst, wie er sonst in der Juniorenliga selten sein dürfte: 2817 Fans waren im Stadion.

Nik Egger

Schon in der ersten Minute geht es zur Sache, Biel verbucht die erste grosse Chance, Zürich kontert und das Tor kann nur dank des Einsatzes eines Bieler Verteidigers verhindert werden. Wenige Sekunden später muss Biel-Torhüter Florian Scheu dennoch ein erstes Mal hinter sich greifen: Kimo Gruber erzielt das 1:0 für die Gäste.

Biel zu Beginn in Rücklage

Es war sicher nicht der Start, den sich die fast 3000 Fans in der Tissot Arena erhofft hätten – und auch die Bieler Nachwuchsspieler nicht. Diese fangen sich aber schnell und finden immer besser ins Spiel. Obschon Zürich in der Startphase die bessere Mannschaft ist, kommen die Seeländer immer wieder zu Chancen.

Die Bieler, wie hier Tommaso Madaschi, starteten engagiert. Nik Egger

Es ist richtige Playoff-Stimmung, es kommt immer wieder zu Handgemengen, sobald die Partie unterbrochen ist. Und auch die Ränge geben sich keine Blösse und feuern die Bieler lautstark an. Darin findet man vor allem eingefleischte EHCB-Fans, die praktisch keinen Match der ersten Mannschaft verpassen. Aber auch einige Neulinge gibt es, die zum ersten Mal an einem Eishockeymatch sind und die kostenfreie Gelegenheit ergriffen haben.

Und sie sind nicht vergebens gekommen: Biels Jamie Villard zieht Richtung Tor, gibt an Livio Christen auf der Aussenbahn ab. Dieser kann dann nicht zurückpassen, weil Villard von der Zürcher Verteidigung gestoppt wird. Er versucht dann den Abschluss auf gut Glück aus scheinbar unmöglichem Winkel – und trifft die Torumrandung am weiteren Pfosten, die Scheibe prallt ins Tor ab.

Vieles erinnert an ein Spiel der «Grossen»

Biel geht in Führung mit einem Distanzschuss von Tommaso Madaschi nach einem Pass von Mark Sever. Die Seeländer spielen zunehmend aufmüpfiger und mutiger, was dem Publikum sichtlich gefällt: Es ist voll dabei.

In den Pausen ist so ziemlich alles wie bei einem Heimspiel – zumindest auf der Nordseite der Tissot Arena. Dort sind die Essens- und Getränkestände offen, man drängt sich durch Menschenschlangen, auf den Treppen der Notausgänge quetschen sich die Menschen zusammen, um zu rauchen. Auf der sonst ebenso belebten Südseite herrscht allerdings gespenstische Stille.

Nach der ersten Pause kommt Zürich sortierter zurück und schiesst bald den Ausgleich. Doch Biel schaltet sogleich einen Gang höher und kontert wenig später mit einem sehenswerten Treffer, erneut von Tommaso Madaschi.

Nik Egger

Und er kann später sogar noch einen drauflegen: Im letzten Drittel zieht er nach einem sehenswerten Zusammenspiel aufs Tor und schiesst gar den Hattrick. Zürich ist mit zwei Toren Rückstand jetzt gefordert. Die Stimmung im Stadion ist ausgelassen, die Fans auf den Sitzplätzen klatschen immer wieder zu den Chören, die auf der Tribune Sud die Mannschaft anfeuern.

Hattrick-Torschütze Madaschi bei einem Abschluss Nik Egger

Bieler Goalie gefordert

Aber auch die Lions können brandgefährlich werden: Wenn das Zusammenspiel passt, wie in der 32. Minute. Der Bieler Goalie Scheu ist geschlagen und die Scheibe liegt frei vor dem offenen Tor. Die Bieler Verteidiger können die Scheibe mit Ach und Krach aus dem Slot spielen.

Allgemein spielt Torhüter Scheu stark und zeigt mehrere Glanzparaden, die die Fans immer wieder mit Szenenapplaus goutieren. Und die rund 150 Fans auf der Tribune Sud stärken ihrem Goalie im Mitteldrittel mit lautstarken Gesängen den Rücken. Vier Minuten vor Schluss des Mitteldrittels braucht es Scheu nochmals, als ein Zürcher allein vor dem Tor steht. Doch der Bieler Torhüter bleibt souverän.

 

Biels Torhüter Florian Scheu in Action. Nik Egger

Sogar das Spiel, dass die Kurve «HCB» ruft und die Sitzplätze denselben Ruf zurückrufen, funktioniert: Es geht ein paarmal hin und her wie beim Tennis, die Kurve bedankt sich mit Applaus und beginnt gleich noch einmal.

Standing Ovations schon lange vor dem Schlusspfiff

Und obschon die Lions versuchen, Druck zu machen, ziehen sich die Bieler nicht zurück und kommen weiter zu guten Chancen. Vor dem eigenen Tor verteidigen die Seeländer konsequent und lassen keine heiklen Szenen mehr zu.

Schon zwei Minuten vor Spielende stehen praktisch alle Fans im Stadion und feuern die Bieler bis zum Schlusspfiff an. Auch als die Lions 38 Sekunden vor Schluss noch den Anschlusstreffer erzielen, schadet das der Stimmung nicht. Schliesslich geht das Spiel 4:3 zu Ende – und die Arena ist schon beinahe am Kochen, als der Schiedsrichter die Partie abpfeift.

Nik Egger

Wie es sich gehört, bedanken sich auch die Nachwuchsspieler bei den Fans und setzen sich erstmals gemeinsam mit der Tribune Sud hin, lassen sich feiern.

Nik Egger

Die Partie erinnerte an ein Meisterschaftsspiel in der National League der «Grossen», sowohl die Stimmung als auch die Qualität des Spiels waren über dem Niveau der Swiss League. Biel war besser, aber nicht deutlich. Aber genau das machte es zu einem besonders sehenswerten Spiel, bei dem hochkarätiges Eishockey gezeigt wurde.

Weiter geht es mit dem nächsten Finalspiel am Sonntag in der Swiss Life Arena in Zürich und am Mittwoch mit dem nächsten Heimspiel in der Tissot Arena – und vielleicht dann auch schon dem letzten Spiel der Saison.

Der Bieler Manuel von Rohr umkurvt das gegnerische Tor. Nik Egger
Rodwin Dionicio, der vor Kurzem zur ersten Mannschaft stiess. Nik Egger
Nik Egger
Nik Egger
Nik Egger

EHC Biel Spirit – GCK Lions

4:3 (2:1 / 1:1 / 1:1)

Tore: 1:08 Kim Gruber 0:1, 9:56 Livio Christen 1:1, 17:27 Tommaso Madaschi 2:1, 21:45 Noel Berner 2:2, 22:44 Tommaso Madaschi 3:2, 45:11 Tommaso Madaschi 4:2, 59:22 Milan Hadorn 4:3

Tissot Arena Biel, 2817 Zuschauerinnen und Zuschauer.

Aufstellungen

EHC Biel
Tor: Florian Scheu, Louis Wehrli

Verteidigung: Niklas Blessing, Rodwin Dionicio; Gaël Christe, Ramon Trauffer; Jonathan Moser, Joel Kurt; Finn Bichsel, Liors Solomoncuks

Sturm: Guillaume Käser, Noé Tarchini, Nolan Cattin; Livio Christen, Jonah Neuenschwander, Jamie Cillard (C); Lorin Froidevaux, Mattheo Reinhard, Manuel von Rohr; Mark Sever, Sven Stekoffer, Tommaso Madaschi.

GCK Lions
Tor: David Brodecky, Janosch Hrdina

Verteidigung: Nino Niedermann, Laurin Schmucki; Yann Voegeli, Filippo Schmid; Noel Ulrich, Niklas Wegmüller; Morgan Henderson

Sturm: Alessandro Segafredo, Noah Böhler, Livio Truog; Yannik Ponzetto, Kimo Gruber, Daniel Olsson; Lenn Zehnder, Endo Meier, Noel Berner; Lauro Peter, Niels Schläfli, Laurin Jakob.

«Es sollte mein Zuhause werden, aber es macht mich nur traurig.» Selim Demir* steht vor einem kleinen Einfamilienhaus, es ist ein Neubau in Lengnau. Der Carport ist noch immer im Bau, die Zufahrt nicht ganz fertig, ums Haus herum stehen Bauutensilien.

Vor über sechs Jahren haben er und seine Frau den Vertrag unterzeichnet. Und mittlerweile mehr als 150’000 Franken auf den vertraglichen Kaufpreis von 600’000 Franken draufgezahlt, zudem musste er zahlreiche Gerichtsprozesse durchstehen. Der Traum vom eigenen Haus ist für Demir zum Albtraum geworden. Ein Drama in fünf Akten.

I. Der Traum vom Eigenheim

Alles begann im Herbst 2018. Selim Demir kommt aus Lengnau, arbeitet bei einer Grenchner Uhrenfirma als Informatiker und seine Frau ist gerade zum ersten Mal schwanger. Die junge Familie hat ein verlockendes Angebot für ein kleines Eigenheim entdeckt: In Lengnau kann man für nur 600’000 Franken ein Haus mitgestalten, andere würden es dann bauen. Sechs Monate später sollte das Haus bezugsbereit sein, eine Technik mit vorgefertigten Betonelementen sollte dies möglich machen.

Aber: «Die Probleme begannen im Moment der Unterschrift», sagt Demir rückblickend. Er und seine Frau unterschreiben einen sogenannten Generalplanervertrag mit der Firma Cogespro und kaufen damit ein fertiges Einfamilienhaus, das noch nicht existiert. Der Generalplaner baut dann das Haus – oder lässt es bauen. Auf jeden Fall muss er von seiner Seite aus alles dazu beitragen, dass das Haus am Schluss steht, sagen Juristen gegenüber SRF.

Matthias Käser

Bereits bei Vertragsunterzeichnung müssen seine Frau und er einen grossen Geldbetrag bezahlen. 85’000 Franken seien mit der Unterschrift fällig gewesen, weitere 100’000 Franken nach Fertigstellung des Erdgeschosses. Sie seien unerfahren gewesen und hätten dies nicht hinterfragt, so Demir. «Wir haben ihnen vertraut.»

Sechs Monate später ist auf der Baustelle noch kaum etwas passiert. Die abgemachte Schlüsselübergabe ist mindestens fünfmal verschoben worden, die Familie immer wieder vertröstet. «Zuerst hiess es, Verspätungen seien normal, dann war es Corona und schliesslich die schlechte Arbeit der Handwerker.» Erreicht habe man die beiden Planer dabei kaum – und wenn, dann nur per E-Mail. «Damals haben wir die wahren Probleme noch nicht gekannt», sagt Demir.

II. Auf der Strasse gelandet

Irgendwann hiess es, die Familie könne nun einziehen. Demir hat daraufhin seine Mietwohnung gekündigt, in der er mit seiner Frau und seinem Kind lebte. Er war damals ebenfalls in Lengnau wohnhaft, unweit der Baustelle und besuchte diese immer wieder.

Wenige Tage vor Auslaufen der Kündigungsfrist erkannte er bei einem Besuch: Das Haus hatte noch nicht einmal ein Dach. Hier würde er kaum in wenigen Tagen einziehen können.

Panisch rief er bei den Planern an – erfolglos. Per E-Mail haben sie Demir vertröstet und gesagt, in fünf Tagen sei das Haus fertig. Erst als Demir insistierte und sagte, er habe gesehen, dass dies unmöglich sei, boten sie ihm eine vorübergehende Mietwohnung an. Allerdings in Reconvilier im Berner Jura. Für Demir, der in Grenchen arbeitet, keine Lösung. Er stand mit einer schwangeren Frau und einem Kleinkind auf der Strasse.

III. Nicht mal die Miete wurde bezahlt

So suchte die Familie auf eigene Faust eine Wohnung in der Nähe. «Gar nicht so einfach für nur einen Monat», sagt Demir. Denn nach wie vor sagten die Planer, das Haus sollte jeden Augenblick fertig werden.

Schliesslich wurde die Familie in Biel fündig, die Planer sollten für die Miete aufkommen, das war so abgemacht. Allerdings wollten diese den Mietvertrag nicht selbst unterschreiben, sondern bestanden gemäss Demir darauf, dass er selbst unterzeichnet. «Da wurde ich wieder stutzig», sagt Demir.

Solche Häuser hätten in Lengnau bereits sechs Monate nach Vertragsunterzeichnung bezugsbereit sein sollen. Matthias Käser

Doch es kam keine Nachricht, dass sie bald einziehen können. Dafür kam nach dem ersten Monat die Nachricht des Vermieters: Die Rechnung wurde nicht bezahlt. Sie könnten nicht bezahlen, sagte Cogespro damals gegenüber Demir, dieser bezahlte selbst. Am Ende wurden es volle neun Monatsmieten.

Das andere Problem: Demir ist mit seiner Familie nur mit minimaler Ausstattung losgezogen. Sie wollten in der neuen Wohnung alle Möbel aufeinander abstimmen und haben deswegen fast alle alten Möbel verkauft. «Wir hatten nicht mal mehr ein Bettgestell», sagt Demir. In der Folge schlief er während fast eines Jahres auf dem Boden. Selim Demir wurde depressiv.

IV. Das Geld ist weg
Demir und seine Frau gaben auf. Sie haben mittlerweile jegliche Hoffnung in Cogespro verloren und machen sich auf eigene Faust an die Fertigstellung des Hauses – und bezahlen fortan alles selbst, obschon sie bereits die gesamte vertragliche Bausumme eingezahlt haben. Denn vom einbezahlten Geld fehlt jede Spur: «Weder der Notar noch die beiden Planer wollten uns eine Antwort geben», sagt Demir.

Das Haus nahm langsam Form an. Doch Demir beschlich ein Verdacht. Durch die vielen Wechsel bei den Handwerkern und immer wieder neuen Firmen habe die Qualität des Hauses gelitten. «Manche arbeiteten ohne Helm, es wurde immer dubioser», so Demir.

2022 konnten sie schliesslich einziehen – vier Jahre nach Vertragsunterzeichnung und dreieinhalb Jahre nach der mit Cogespro ausgemachten Schlüsselübergabe. Sie waren damals die ersten, die in der Siedlung einziehen konnten. Die anderen vier Häuser befanden sich noch im Rohbau.

2022 konnte Selim Demir endlich ins Haus in Lengnau einziehen. Fertig war es aber immer noch nicht.

Doch dann kam der nächste Hammer: Offenbar wurden die Handwerker von Cogespro ebenfalls nicht bezahlt – und fordern nun hohe Summen von Selim Demir und seiner Frau.

V. Gefangen im Strudel der Probleme

Demir hatte in der Zwischenzeit gegen Cogespro, den Architekten und den Immobilienverwalter Strafanzeige eingereicht, nun musste er auch gegen die drohende Pfändung durch die Handwerksfirmen rechtlich vorgehen.

Vor Gericht einigte man sich in den meisten Fällen. Schlussendlich bezahlte Demir zusätzlich zu den 600’000 Franken, die das Haus hätte kosten sollen, über 150’000 Franken drauf. Dafür musste er eine zweite Hypothek aufnehmen. Doch es kommen immer wieder neue Kosten ans Licht: «Wenn das so weitergeht, kann ich bald nicht mehr weiterzahlen.»

Weitergehen wird es mit Sicherheit: Es stehen nämlich noch Rechnungen der Gemeinde Lengnau aus, wie diese bestätigt. Dabei handelt es sich um «reglementarische Anschlussgebühren der Elektrizitäts- und Wasserversorgung und Abwasserentsorgung». Sie würden im Verlaufe des Frühjahrs in Rechnung gestellt und dürften sich laut Gemeinde pro Haus auf weitere 20’000 bis 30’000 Franken belaufen.

Epilog: Eine unendliche Geschichte

Selim Demir sitzt im Wohnzimmer seines gepflegten, modernen Einfamilienhauses am grossen Esstisch. Seine Stirn liegt in Falten, sein Blick ist ratlos. Vor ihm ein Haufen Ordner und der Laptop mit Tausenden E-Mails, die in dieser Sache hin und her geschickt wurden. Das Haus ist zwar fertig, aber Selim rechnet bald mit den nächsten Problemen: Er vermutet, dass durch die vielen Wechsel der Handwerker Fehler gemacht wurden und das Haus in billigster Art und Weise gebaut wurde. «Wir wurden verarscht», sagt er.

Der Fall von Demir in Lengnau ist bei Weitem kein Einzelfall: Die beiden Planer hatten zahlreiche, fast identische Projekte in der gesamten Nordwest- und Zentralschweiz. Und den Traum vom Eigenheim hatten auch viele andere Familien. Wie Demir nehmen sie dafür ihr gesamtes Erspartes in die Hand – und hatten Probleme mit denselben Unternehmern.

Das Ausmass deckte SRF Investigativ im Herbst auf. Die Recherche des BT zeigt nun: Mittendrin stecken zwei Seeländer und ein Bernjurassier. Dazu kommen zahlreiche Firmen, viele mit Bezug zum Seeland, die seltsam verstrickt sind.

*Name geändert. Selim Demir schämt sich dafür, auf die Planer «reingefallen» zu sein und möchte nicht erkannt werden.

Dies ist Teil 1 einer zweiteiligen Recherche. Die gesamte Geschichte gibt es auf ajour.ch.

«Du musst die Zucchetti mit Schwung wenden», sagt der Koch und schwenkt die Pfanne, es gibt eine Stichflamme. In der Küche des Restaurants Bären in Twann brutzelt es gehörig, Souschef Fabian Christinaz gibt seinem Team deutliche und klare Anweisungen.

Dieses besteht heute aber nicht aus Köchinnen und Lehrlingen, sondern aus Schülerinnen und Schülern, genauer aus Neuntklässlern aus Nidau. Sie erhalten einen Einblick in die Welt der Gastronomie – und übernehmen für einen Abend gleich das gesamte Restaurant.

 

Dario Brönnimann

Hinten in der Küche bereiten fünf Jugendliche den ganzen Nachmittag den Viergänger für den Abend vor: Es wird geschnippelt, gerüstet, gebraten und gekocht. Vorne im Restaurantbereich deckt eine zweite Gruppe die Tische kunstvoll ein. Hie und da hört man es scheppern, weil ein Löffel herunterfällt. Dazu lernen sie raffinierte Servietten-Falttechniken, wie etwa den Bischofshut oder den Fächer.

Dario Brönnimann

Richtig servieren will geübt sein

Still und konzentriert wuseln die Jugendlichen zwischen den Tischen durch und schmücken sie. Ab und an greift Janice Dürig, die Direktionsassistentin des «Bären», ein und korrigiert, wenn etwa ein Messer falsch herum liegt.

Als alles dekoriert ist, geht es an das Lernen der Technik für den Service am Abend. Eine erfahrene Kellnerin zeigt den sechs Jugendlichen, wie man ein Suppenteller richtig serviert – von rechts – und wieder abräumt – von links. «Und dann wünscht ihr den Gästen immer ‹E Guete›», sagt sie.

Nachher Dario Brönnimann
Vorher Dario Brönnimann

Das alles wird geübt: Die Jugendlichen servieren einander Suppenteller mit Wasser. In der Küche riecht es derweil verlockend gut. Die Caramelköpfli für das Dessert sind eingefüllt und kommen in den Kühler, das Beilagengemüse für den Hauptgang ist bereits vorgebraten und kommt auf die Teller, die am Abend erwärmt werden.

 

Dario Brönnimann
Dario Brönnimann
Dario Brönnimann

Einige sind noch immer mit rüsten und schneiden beschäftigt, so etwa Nils. Er kümmert sich um die Suppe und zerkleinert dazu sechs Kilo Rüebli – still und fokussiert. Er kocht zwar gerne, sieht sich aber in Zukunft nicht in einer Küche arbeiten.

«Der Job ist mir zu stressig, das kann ich mir nicht vorstellen», sagt er. Er habe bereits eine Lehrstelle gefunden – als Konstrukteur.

Dario Brönnimann
Dario Brönnimann

Auch sein Klassenkamerad Joel, der ihm nun hilft, mit den sechs Kilo Rüebli fertig zu werden, sieht das ähnlich. Und: «Ich will einen Job, bei dem ich draussen arbeiten kann.» Auch er hat bereits eine Lehrstelle – bei einer Gärtnerei als Landschaftsgärtner.

Pläne für die Zeit nach der neunten Klasse

Gleiches hört man beim Serviceteam raus: Fast alle wissen bereits, was sie ab August machen – oder zumindest gerne machen würden. Gastronomie gehört nicht zu den Wünschen. Nicht mal bei Laila, die gar mal eine Schnupperlehre im Service absolviert hat. Aber sie will im Sommer an den Gymer.

Sie und ihre Klassenkameradin Faith haben trotzdem Spass: «Die Falttechniken für die Servietten sind cool. So kann man kleine, aber schöne Details herstellen», sagt Faith. Daneben sitzt Ella und faltet eine Serviette zu einem Schiffchen. Ihr hat das Eindecken der Tische besser gefallen. «Den Raum so schön herzurichten, macht Spass», sagt sie.

Dario Brönnimann
Dario Brönnimann

Als gegen 17 Uhr in Küche und Gaststube alles vorbereitet ist, setzen sich die Schülerinnen und Schüler an den Stammtisch und bekommen das Mitarbeiter-Menü aufgetischt. Bevor die Gäste eintreffen, wird das Team verköstigt – wie an einem ganz normalen Abend im Restaurant Bären.

Die eigenen Eltern bewirten

Danach gibt es letzte Anweisungen: «Beim Servieren herrscht Rechtsverkehr, sonst gibt es Zusammenstösse», sagt Souschef Fabian Christinaz. In der Küche werden Eier durch ein Sieb gedrückt – das geht schneller, als sie kleinzuschneiden – und Croûtons gebacken. Sophia schneidet die Brotlaibe zu Würfeln, würzt sie und schiebt sie in den Backofen. Sie habe sich extra für diese Station gemeldet, da sie sonst nicht besonders gut kochen könne.

Dario Brönnimann

Auch sie geht im August weiterhin zur Schule, dann aber ans Gymnasium. Der Nachmittag sei dennoch eine Bereicherung: «Meine Grosseltern sind Stammgäste hier, darum ist es spannend, mal hinter die Kulissen zu sehen», sagt Sophia. Der Nachmittag im Restaurant war für die Schüler dieser neunten Klasse des Burgerbeunden-Schulhauses in Nidau obligatorisch. Die eine Halbklasse sitzt in der Schule, die andere schmeisst das Restaurant. Eine Woche zuvor übernahm die andere Hälfte den Gastrobetrieb.

Um 18.30 Uhr treffen die ersten Gäste ein – grösstenteils die Eltern der Jugendlichen – und im Restaurant wird es lauter. Das Serviceteam teilt die Tische unter sich auf, alle wollen ihre Eltern bedienen und ihnen zeigen, was sie gelernt haben. Die ersten Teller werden in der Küche angerichtet und geschickt, im Restaurantbereich wird es langsam ruhiger – meist ein Zeichen dafür, dass das Essen schmeckt.

Und auch wenn an diesem Nachmittag und Abend niemand den zukünftigen Traumberuf gefunden hat, in einem Punkt sind sich dennoch alle Schülerinnen und Schüler einig: Der Einblick in die Welt der Gastronomie war sehr wertvoll.

Haselhühner sind extrem scheue Tiere: Am liebsten verstecken sie sich – schliesslich sind sie mit dem braun-schwarz-weiss gesprenkelten Federkleid auch prädestiniert dafür, im Unterholz abzutauchen. Und sie sind auf der roten Liste der gefährdeten Arten der Schweiz als «potenziell gefährdet» eingestuft. Damit dürfte ein Mensch sie nur selten zu Gesicht bekommen, obschon sie ungefähr die Grösse einer Strassentaube haben.

Obschon unbemerkt, sind sie in der Region heimisch, vor allem in den Jurahöhen. Deswegen hat der Naturpark Chasseral gemeinsam mit der Schweizerischen Vogelwarte Sempach 2013 ein Projekt zur Zählung der scheuen Vögel gestartet. Dieses kann nun nicht fortgeführt werden, wie der Naturpark mitteilt. Grund: der Klimawandel.

Die Messung wurde bisher nämlich jeweils anhand der Spuren im Schnee durchgeführt. In abgesteckten Feldern mit je 250 Meter Seitenlänge wurden die Spuren der Hühner gezählt – sowohl Fussspuren als auch Hinterlassenschaften wurden genau vermerkt. Dies sei aber mit den immer unsichereren Schneeverhältnissen in Zukunft nicht mehr möglich.

Tokumi/PD

Der Grund, weshalb die Haselhühner überhaupt gezählt wurden: Sie leben vor allem in den Alpen, daneben auch im Jura. Allerdings gehen die Bestände der kleinsten Schweizer Raufusshühner gerade im östlichen Jura seit Jahren zurück.

«Nur im östlichen Jura, in der restlichen Schweiz scheint dies nicht der Fall zu sein», sagt Livio Rey von der Vogelwarte Sempach. Grund dafür sei, dass in dieser Region mehr Buchen wachsen, was den Wald weniger geeignet für das Haselhuhn mache.

Mit den Zählungen wollte man untersuchen, wo genau sich die Haselhühner am wohlsten fühlen – und wie man sie dort am besten schützen kann.

Wahnsinnig viel Aufwand

Die Zählungen seien jeweils enorm aufwendig gewesen, sagt Anatole Gerber, Verantwortlicher für Arten und Lebensräume beim Naturpark Chasseral. Insgesamt 188 Felder mit einer Fläche von je über 60’000 Quadratmetern mussten abgesucht werden. Zwischen 2013 und 2019 hätten Gerber und seine Helfenden in der Regel jeweils zwischen drei und sechs dieser Felder pro Tag absuchen können. Das sei das absolute Maximum, vorausgesetzt, die untersuchten Felder liegen sehr nahe beieinander. So habe man in zwei Messperioden auf 42 Feldern Spuren finden können.

«Es waren anspruchsvolle Tage, mit langen Wegen zu Fuss»

Insgesamt waren jeweils neun Leute an der Zählung beteiligt: zwei Mitarbeitende der Vogelwarte, zwei Praktikanten und Gerber vom Naturpark sowie vier erfahrene Ornithologen aus der Region. Alle hätten schon Erfahrung mit dem Haselhuhn gemacht, was unabdingbar sei: «Man muss schon wissen, wo genau man die Spuren und den Kot suchen muss, sonst hat man keine Chancen, solche zu finden», so Gerber.

Resultate im Schnee kaum genügend

Nun muss also eine neue Methode her. Die Spurensuche im Schnee sei zu abhängig von Schneebedingungen, «insbesondere weil es mit dem Klimawandel tendenziell immer weniger Schnee gibt», sagt Gerber. Dadurch könnten die Resultate von Zählungen in verschiedenen Jahren kaum mehr verglichen werden und würden damit Bestandsschätzungen unmöglich machen.

Scosse/CC-BY-SA-4.0

Im Moment sei keine Wiederaufnahme der Haselhuhn-Zählung im Schnee geplant, sagt Gerber. Allerdings hätten die bisherigen Zählungen bereits viele Erkenntnisse gebracht. Etwa wo es im Park tatsächlich am meisten Haselhühner gibt – was vorher kaum bekannt gewesen sei – oder auch wo Schutzmassnahmen für das Habitat der Hühner am sinnvollsten seien.

Trotzdem gebe es verschiedene Methoden, mit denen sich die Haselhühner auch ohne Schnee zählen lassen, der Naturpark habe schon mehrere Versuche durchgeführt, sagt Gerber. «Wahrscheinlich werden wir mit ‹Loggern› arbeiten», sagt er. Das sind Geräte, die man im Feld installiert, um Tonaufnahmen zu festgelegten Zeiten zu machen. Diese Aufnahmen können dann per Computer analysiert und nach Rufen und dem Gesang von Haselhühnern untersucht werden.

«Vieles noch offen»

Aber auch diese neue Methode sei noch nicht voll ausgereift: Um wirklich effizient zu sein, müsste die Suche nach Haselhuhn-Rufen und Gesang automatisiert sein, was im Moment noch in Entwicklung sei. Mit der Vogelwarte Sempach habe man aber einen sehr guten Partner in diesen Forschungsfragen. Der Kanton Neuenburg habe ebenfalls schon solche Aufnahmen durchgeführt. «Auch dort lassen sich Synergien finden», sagt Gerber. «Viele Fragen sind noch aber noch offen.»

Wie viele Haselhühner im Gebiet des Chasseral leben, sei sehr schwer zu sagen, meint Gerber. «Wir sind jetzt schon zufrieden, dass wir etwa wissen, wo es diese Hühner gibt.» Er schätzt grob, dass im Gebiet des Parks – also auf einer Fläche von 549 Quadratkilometern – zwischen 40 und 200 Haselhühner leben dürften.

Auf den sozialen Medien macht derzeit ein Bild die Runde: ein Schwarz-Weiss-Bild des Flugplatzes Biel-Bözingen mit einem Hangar. Vor der offenen Tür des Hangars stehen zwei kleine Propellerflugzeuge. Was aber wirklich verblüfft, steht daneben, auf dem eigentlichen Flugfeld: In einem rund abgezäunten Areal steht ein viermotoriger Bomber der Alliierten aus dem Zweiten Weltkrieg.

Beim Flugzeug handelt es sich um einen US-amerikanischen B-17-Bomber, auch als «Flying Fortress» bekannt. Die Schweizer Armee hatte sich selbst nie ein solches Flugzeug angeschafft und im Verlaufe des Krieges kam es nur zu einer Handvoll Notlandungen dieses Flugzeugtyps auf Schweizer Boden. Dadurch lässt sich auch der Weg des Bombers bis nach Biel ziemlich gut zurückverfolgen.

Heute starten die Flugzeuge in der Region in Grenchen und Kappelen. Das war aber nicht immer so: Biel hatte lange Zeit einen eigenen Flugplatz – und hat gar versucht, sich ins internationale Netz einzubinden.

Angefangen hat Biels Flugbegeisterung 1894, als Eduard Schweizer, besser bekannt als Kapitän Spelterini, vom Gaswerkareal aus eine Ballonfahrt startete. 1911 fanden die ersten Flugtage mit Flugzeugen statt, allerdings noch auf dem Brühlfeld, dort wo heute der Güterbahnhof ist. Zwei Jahre später starteten die Flugzeuge auf den Nidaumatten, am Standort des heutigen Centre Bahnhof.

Nach dem Ersten Weltkrieg etablierte sich die Luftfahrt langsam, aber sicher als Transportmittel für die Zivilbevölkerung – und Biel wollte mitmischen. So erhielt man 1927 den Zuschlag als Zwischenstation für die Flugstrecke Genf – Zürich – und musste in Windeseile einen Flugplatz aus dem Boden stampfen.

Biel war nun an den internationalen Flughafen Zürich (bis 1948 in Dübendorf) angeschlossen, was in Bern offenbar sauer aufstiess. Im «Bund» war damals zu lesen: «Die Luftlinie Zürich-Genf geht schnurgerade über das Belpmoos. Um Biel anzufliegen, braucht es einen wesentlichen Umweg. Und dennoch! Wo blieb bei den Unterhandlungen das Gegengewicht des bernischen Stadtpräsidenten? Biel hat Bern den Rang abgelaufen.»

Zwei Jahre später erreichten die Berner ihr Ziel und konnten die Genf-Zürich-Linie über das Belpmoos leiten – obschon dort noch gar kein Flugplatz war. Biel suchte darauf wieder den Anschluss an den internationalen Flugverkehr über Basel.

In den 1930er-Jahren versuchte der damalige Stadtpräsident Guido Müller, die Flugzeugindustrie nach Biel zu holen – ohne Erfolg. Zudem nahm die Nachfrage nach täglichen Reisen per Flugzeug ab, wodurch die Stadt Biel 1938 auf regelmässige Flugverbindungen verzichtete.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wagte Biel den Neuanfang und baute den Flugplatz kräftig aus. 1948 konnte darauf geflogen werden, allerdings nie mit grossem Erfolg. So kündigte die Stadt Biel 1963 den Flugplatzbetreibern das Terrain. Das Bözingenfeld wurde für die Industrie benötigt. Allerdings gab es noch eine Übergangszeit bis 1969, in der der Flugplatz in Biel weiterhin benutzt wurde. Seit da ist Biel-Kappelen der Flugplatz der Region.

Der Flugplatz in Biel in den 1950er-Jahren. zvg/Sammlung Simone & Jean-Pierre Bovay
Der berühmte Schweizer Pilot Emile Taddéoli mit seiner Morane an den ersten Bieler Flugtagen 1911 auf dem Gelände des heutigen Güterbahnhofs. zvg/Sammlung Peter Fasnacht
Eine Maschine der BALAIR auf dem Flugplatz in Biel, 1928. Vermutlich zeigt das Bild den ersten kommerziellen Flug am 14. Mai. zvg/Paul Blösch, Biel
Der Bieler Flugplatz um 1965. zvg/Ursula und Christoph Probst, Biel

Der einsame Iltis in der Luft

Offenbar handelt es sich bei der B-17 in Biel um ein Flugzeug der US Air Force mit dem Übernamen «Lonesome Polecat», «einsamer Iltis» auf Deutsch. Sie flog im März 1944 Einsätze über dem Raum Augsburg, gemeinsam mit anderen Bombern des 550th Squadron, wie das Luftfahrt-Fachmagazin «Jet & Prop» schreibt.

Am 16. März wurde eine grosse Offensive geflogen, mit über 1800 anderen Flugzeugen. Östlich von Stuttgart wurde der Squadron, der vom «Iltis» angeführt wurde, von deutschen Jagdflugzeugen angegriffen. Der «Iltis» verlor dabei einen Propeller, ein anderer Motor brannte aus, ein Loch in einem Treibstofftank erforderte ein Umpumpen, die Plexiglas-Front am Bug des Bombers wurde weggeschossen, Funkgeräte durchlöchert.

Zudem riss der Luftstrom die Flugkarten und das Bordbuch aus dem Flugzeug, womit der Besatzung nur der seidene Schal mit aufgedruckter Europa-Landkarte blieb. Der Pilot war gezwungen, die Formation daraufhin zu verlassen. Er drehte das Flugzeug um 180 Grad und wollte via Schweiz nach Spanien fliegen.

Pilot hatte andere Pläne als die Schweizer Luftwaffe

In der Schweiz wurde der Bomber von Jagdflugzeugen der Schweizer Luftwaffe empfangen. Diese zeigten dem Bomber an, er solle ihnen folgen, um auf einem Flugplatz zu landen. Der Pilot des Bombers leistete dem aber keine Folge, da er ja nach Spanien fliegen wollte.

Aufgrund der Schäden verlor das Flugzeug – obschon die Besatzung immer wieder Ballast wie Splitterschutzwesten abwarf – aber immer mehr an Höhe. Im Gebiet des Brünigpasses drehte die B-17 schliesslich ab, als der Pilot die verschneiten Alpen vor sich sah.

Die Schweizer Flieger wollten den Bomber nach Dübendorf eskortieren. Als der Bomber-Pilot – mittlerweile nur noch auf rund 300 Metern Flughöhe – die Albiskette sah, drehte er abermals ab und befahl seiner Crew, mit dem Fallschirm abzuspringen.

Notlandung im Zugersee

Der Pilot war somit allein an Bord, als kurze Zeit später auch der dritte der vier Motoren den Geist aufgab. Mit nur noch einem Motor konnte der Pilot den Bomber schliesslich um etwa 13 Uhr auf dem Zugersee notlanden. Die Maschine versank kurz darauf im See, etwa 450 Meter vom Ufer entfernt, auf den 45 Meter tiefen Seegrund.

Danach war es acht Jahre lang still um die fliegende Festung im Zugersee. Ehe ein wagemutiger Unternehmer namens Martin Schaffner das möglich machte, was die Schweizer Armee jahrelang für unmöglich hielt: die B-17 aus dem See zu holen.

Er wollte den Bomber auf das Dach seiner Tankstelle in Suhr stellen – als Werbegag. Zwei Jahre lang bereitete er sich auf die Bergung vor: Er ringt um Bewilligungen, versucht, das Wrack möglichst präzise zu lokalisieren, und baut sich aus zwei Benzintanks ein Floss, das als Hebebühne dienen soll.

Zwei Jahre Vorbereitung, zwei Monate Arbeit

Unerfahren in der Bergung von Flugzeugen fragte Schaffner bei der Armee nach Rat. Diese teilte ihm mit, dass es unmöglich sei, den Bomber zu heben. Er suchte Taucher, die bereit sind, 45 Meter unter Wasser Stahlseile an das rund 30 Tonnen schwere Flugzeug anzubringen – noch ohne Sauerstoffflaschen, dafür mit Tauchglocke.

Ein erster Versuch scheiterte, die Stahlseile rissen. Am 23. August 1953 konnte das Flugzeug schliesslich an die Oberfläche gebracht werden. Der Bomber wurde beim heutigen Bootshafen an Land gezogen – nach zwei Monaten Bergungsarbeiten.

Die Boeing B-17G «Flying Fortress» auf dem Flugfeld Biel-Bözingen im Jahr 1953. zvg / B-17-Museum Utzenstorf

Der Rummel war sogleich gross: Die ganze Schweiz wollte die fliegende Festung sehen. Und Schaffner war ein Geschäftsmann, ein «Fuchs», ein «Teufelskerl», wie ihn Zeitzeugen im «Jet & Prop» nennen. So zäunte er das Flugzeug mit Holzbrettern ein und verlangte Eintritt. 1.10 Franken für die Erwachsenen, 55 Rappen für die Kinder. Und als Schaffner sah, wie die Besuchenden durch den Morast des nassen Bodens stapften, wies er seine Mitarbeitenden an, ihnen für 30 Rappen die Schuhe zu putzen.

Der Publikumsliebling in Biel

Allein am ersten Besuchstag kamen knapp 10’000 Menschen. Nach einiger Zeit in Zug stellte er in Cham, Basel, Lausanne, Bümpliz und eben auch Biel aus.

Der Uhrenstadt wurde das Wrack im Sommer 1953 präsentiert – und am 31. Juli zählte man schon 160’000 Menschen, wie die NZZ damals schrieb. Viel mehr lässt sich dazu nicht herausfinden, denn dem «Bieler Tagblatt» schien der Besuch dieses Kriegsveteranen keinen Artikel wert.

Danach wurde es still um den «Donnervogel». 1968 wurde die Maschine in St. Gallen ausgestellt, dann zwei Jahre in St. Moritz, wo das Flugzeug zusehends verfiel. 1972 wurde es in Suhr verschrottet, mehrere Teile – unter anderem zwei Motoren – wurden in ein Museum in die Niederlande gebracht. Ob sie heute noch dort ausgestellt sind, ist unklar.

Zwei volle Einkaufstüten voller Markenprodukte, frischer Früchte, Gemüse und Fleisch – für nur einen Franken. Was unglaublich klingt, macht die Organisation Tischlein deck dich einmal die Woche in Biel möglich. Unter der Leitung von Kathrin Wolf aus Ligerz verteilen Freiwillige kiloweise gerettete Lebensmittel an Menschen, die sich solche Dinge sonst nicht leisten können.

Das Haus an der Dufourstrasse, in dem die Nahrungsmittel abgegeben werden, wirkt von aussen alles andere als einladend. Die Fenster sind in den unteren zwei Dritteln foliert, sodass man nicht hereinspähen kann, einzig zwei Beschriftungen verraten: Die Räume gehören der Sozialberatung der Heilsarmee Biel.

Die kühlen Räume dahinter sprühen aber am Dienstagnachmittag jeweils nur so von Leben: Kisten mit Gemüse und Früchten stapeln sich, daneben türmen sich Käseplatten und Schokoladenriegel. Eine grosse Palette mit Markenjoghurt wird gerade hineingefahren, ein Hauch von frischem Brot liegt in der Luft.

Nik Egger

Dazwischen wuseln zahlreiche Menschen umher, alle in eine rote Schürze gehüllt. Sie retten jede Woche kiloweise Lebensmittel – und verteilen diese an bedürftige Menschen für einen symbolischen Franken.

Nik Egger

Eine eher kleine und unscheinbare Frau behält den Durchblick und koordiniert: Kathrin Wolf, Leiterin der Bieler Abgabestelle der Non-Profit-Organisation Tischlein deck dich. Das meiste funktioniert ohne ihr Zutun, alle scheinen ihren Job bestens zu kennen. «Weil wir so ein eingespieltes Team sind», sagt Wolf. «Das ist vor allem ihr Verdienst», ruft eine Kollegin von Wolf dazwischen und deutet mit dem Finger auf die Leiterin.

Nik Egger

«Tischlein deck dich» rettet Lebensmittel von Grosshändlern, die diese nicht mehr verkaufen können. Oft handle es sich dabei um Überproduktionen, die das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) schon überschritten haben oder nahe dran sind. Das MHD sei ein reiner Qualitätshinweis. Viele der Lebensmittel, so Wolf, sind aber noch viel länger geniessbar. Diese werden bei den Grosshändlern abgeholt.

Mehrere regionale Zentralen – die nächste in Grenchen – verteilen die Lebensmittel an die jeweiligen Abgabestellen. Dort werden sie von Freiwilligen kontrolliert, allenfalls gerüstet und bereit für den Verkauf gemacht.

Nik Egger
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Kathrin Wolf ist 75 Jahre alt, doch ihre Haltung ist aufrecht, ihre Schritte sind sicher. Mit ihrer freundlichen und dennoch bestimmten Art, der warmen Stimme und den aufmerksamen Augen hat sie eine Autorität, die Vertrauen schafft. Heute ist sie zum letzten Mal als Leiterin von «Tischlein deck dich» vor Ort.

Seit elf Jahren hilft Wolf einmal die Woche freiwillig bei der Organisation mit, grösstenteils als Leiterin. Eine Freundin habe sie herangeführt, und danach war sie sofort überzeugt – wegen eines tiefen Unbehagens über den sorglosen Umgang mit Ressourcen. «Ich bin selbst Hobbygärtnerin und weiss, wie lange es dauert, bis ein Salatkopf erntereif ist. Der Gedanke, dass solche Mühen einfach im Abfall landen, war für mich unerträglich.»

Nik Egger
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Wolf war fasziniert von der Idee, Lebensmittel vor der Verschwendung zu bewahren. Gleichzeitig schockierte sie das Ausmass: Berge von unverkauftem Brot, Überschüsse an frischem Obst und Gemüse, das nur deshalb aussortiert wurde, weil Konsumentinnen und Konsumenten makellose Optik bevorzugen.

«Wir als Konsumenten müssen bei unseren hohen Ansprüchen zurückbuchstabieren», sagt Wolf. Es könne nicht sein, dass man die Erwartung habe, um 18 Uhr noch in ein Geschäft gehen zu können und aus zehn verschiedenen Brotsorten auswählen zu können.

Diese zehn verschiedenen Brotsorten vom Vorabend stapeln sich nun im Verteilraum, zusammen mit einer grossen Kiste getrockneter Tomaten, sackweise Litschis und veganen Plätzli.

Nik Egger
Nik Egger
Nik Egger
Nik Egger
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Die Freiwilligen teilen alle Waren möglichst gleichmässig auf grosse Papiersäcke auf. Aufgereiht stehen sie an der Wand, jeweils mit Nummern von 1 bis 7 dran. Sie zeigen an, für wie viele Personen die Tüten zusammengestellt wurden. Alles ist genauestens gezählt.

Nik Egger
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Dann kommt die Kundschaft: alleine, mit der ganzen Familie oder paarweise, alle möglichen Leute. Man braucht dazu eine Karte, die man vom Sozialdienst erhält, nachdem dieser abgeklärt hat, ob man Anspruch auf die geretteten Esswaren hat. Es herrscht eine sehr freundliche Stimmung, man kennt sich, lacht viel, bedankt sich.

Manche Menschen suchen das Gespräch mit Wolf und sie erzählt ihnen, dass heute ihr letztes Engagement bei «Tischlein deck dich» sei. Die meisten können es kaum fassen. Sie bedanken sich für die jahrelange Hilfe und die Wertschätzung, die ihnen Wolf entgegengebracht hatte. Eine Dame nimmt Wolf gleich mehrmals herzlich in die Arme, die Dankbarkeit ist spürbar – auf beiden Seiten. Die Augen von Wolf glänzen, wenn sie sieht, wie viel ihre Arbeit den Menschen bedeutet.

Tränen wegen eines Blumenstrausses

Die grosse Dankbarkeit sei etwas vom Schönsten, sagt sie – neben dem guten Gefühl, so viele Lebensmittel zu retten. Sie erzählt von Aktionen, die ihr mehr zurückgeben, als sie geben könnte. Von einer Kundin, die Croutons aus dem geretteten Brot zubereitete und sie als Geschenk an das Team verteilte. Von einer Frau, die weinen musste, als sie von Wolf – erstmals in ihrem Leben – ein Blumensträusschen erhielt. Oder von einer afghanischen Familie, die einen frisch gebackenen Kuchen brachte. «Das sind die Momente, die mich tief berühren.» Dennoch betont sie, man mache es nicht für sich selbst.

Nicht immer ist der Umgang mit Menschen einfach. Selten mal würden Kunden reklamieren oder versuchen, mehr zu bekommen, als ihnen zusteht. Fairness sei ohnehin eines der Themen, die die Freiwilligen am meisten umtreibt. «Es ist eine Herausforderung, gerecht zu bleiben. Aber letztlich geht es darum, dass alle etwas bekommen und die Lebensmittel sinnvoll verwendet werden.»

Nik Egger

Dieses zweiseitige Engagement – der Kampf gegen Foodwaste auf der einen, die Hilfe für Bedürftige auf der anderen Seite – lebt Wolf mit ganzem Herzen. Da die Abgabe wöchentlich stattfindet, sei sie die letzten elf Jahre kaum je länger als sechs Tage am Stück in die Ferien gefahren. «Immer so, dass ich am Dienstag wieder hier sein konnte.»

Kathrin Wolf war schon eine engagierte Persönlichkeit, bevor sie ihre Energie in «Tischlein deck dich» steckte. In den 80er-Jahren half sie, in Biel einen Marktstand mit Bioprodukten aus dem Seeland aufzubauen, und organisierte Vorträge über umweltfreundliches Waschen. Später leitete sie einen Laden für Flüchtlinge, arbeitete als Buchhändlerin und führte während 35 Jahren die Bibliothek von Twann. «Ich war immer jemand, der gerne etwas bewirkt und mit anderen zusammenarbeitet.»

Nik Egger

Dieses Engagement zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. «Ich mache nichts halbherzig», sagt sie. Auch deshalb war für sie klar, dass sie die Leitung von «Tischlein deck dich» nach elf Jahren vollständig abgeben würde. Ihre Gesundheit spielt dabei eine Rolle, sie werde nun erstmals in ihrem Leben kein Engagement im gemeinnützigen Bereich mehr haben. Langweilig werde ihr trotzdem nicht: Mit dem Garten und ihren Enkeln habe sie noch genug zu tun, sagt sie zufrieden.

Jetzt, wo der letzte Einsatz als Leiterin vorbei ist, spricht Kathrin Wolf von Erleichterung – und von Trauer. «Das ‹Tischlein› war wie eine zweite Heimat», sagt sie leise. Sie wird die Dienstagnachmittage vermissen, das Zusammenspiel der Freiwilligen, die Momente der Spannung: «Man kommt hin und fragt sich, was heute wohl für Esswaren kommen, was man heute retten und verteilen darf. Es war immer ein besonderer Augenblick.»

Eine Gruppenumarmung mit dem Lastwagenfahrer

Mit ihr aufhören wird auch ein Urgestein des Bieler Tischleins, die 93-jährige Rosmarie Lehmann aus Evilard. Beide werden immer wieder umarmt und verdankt – zuletzt vom Lastwagenfahrer, der jede Woche die Esswaren aus dem Zentrallager nach Biel fuhr. Er verspricht, sich bald auf einen Kaffee mit den beiden Damen zu treffen, die drei umarmen sich herzlich.

Nik Egger

Kathrin Wolf hinterlässt mehr als eine funktionierende Organisation. Sie hat ein Bewusstsein geschaffen – für den Wert von Lebensmitteln, für den Wert der Gemeinschaft und für die Möglichkeiten, auch mit kleinen Taten grosse Veränderungen anzustossen. Ihre Botschaft bleibt klar: «Mehr Wertschätzung für Lebensmittel – und für das Leben selbst.»

Lukas Hohl, Festivals sind nicht mehr der Selbstläufer wie vor 15 Jahren. Was ist anders?
Lukas Hohl: Früher ging man mit dreckigen Turnschuhen an Festivals, fand es geil, zwei, drei Tage zu zelten – und heute hast du kaum ein Festival mehr, das überhaupt noch einen Campingplatz hat. Viele Besucher kommen nur für einen Tag und gehen dann ins Hotel. Die Älteren sind bequemer geworden, die Jungen zurückhaltender. Du musst sehr vieles richtig machen, dass jemand Junges ein Ticket kauft. Hinzu kommt, dass die Menschen immer spontaner Tickets kaufen. So bangen wir jeweils bis zum Schluss.

Lakelive-Co-Organisator Lukas Hohl Matthias Käser

Was sind denn im Moment die grössten Schwierigkeiten für Sie als Festivalorganisatoren?
Die grössten Herausforderungen liegen wie immer im Booking, also Künstlerinnen und Künstler für die grossen Bühnen zu finden. Diese Problematik ist nicht neu und wird auch in zehn Jahren noch existieren, aber sie spitzt sich zu. Ein attraktives Musikprogramm zusammenzustellen, das sowohl die Erwartungen des Publikums erfüllt als auch bezahlbar bleibt, ist ein Kraftakt. Hinzu kommt, dass der Markt sehr schnelllebig ist. Was uns unterscheidet, ist unser Konzept: Wir wollten von Anfang an mehr sein als ein reines Musikfestival. Mit einer Mischung aus Musik, Sport und Kultur haben wir uns ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Das hat uns nicht nur einzigartig gemacht, sondern uns auch in schwierigen Zeiten Stabilität verliehen.

Man spricht immer wieder von einer Festivalkrise. Weshalb?
Müssen wir wirklich von einer Krise sprechen? Viele Festivals kämpfen mit sinkenden Besucherzahlen, während die Kosten steigen. Vor allem unabhängige Veranstalter, die nicht von grossen Konzernen wie Live Nation oder Eventim gestützt werden, haben es schwer. Trotzdem glauben wir, dass unser Festival mit einem eigenen Konzept und sehr starker regionaler Verankerung bestehen kann. Aber klar, es bleibt eine Herausforderung, sich in diesem komplexen Markt zu behaupten.

Welche Rolle spielen diese internationalen Booking-Agenturen wie Live Nation?
Eine sehr grosse. Diese Agenturen bündeln Künstler, Festivals und Ticketplattformen und schaffen so ein System, in dem unabhängige Veranstalter wie wir kaum mithalten können. Auch in der Schweiz sind mittlerweile viele Festivals an diese internationalen Konzerne angeschlossen. Wenn diese Firmen einen Künstler unter Vertrag haben, werden deren eigene Festivals bevorzugt – und das spüren wir.

Die Organisatoren des Lakelive, Marcel Sallin und Lukas Hohl (rechts) Matthias Käser

Gelingt es denn dem Lakelive überhaupt noch, grosse Acts zu verpflichten?
Schlaflose Nächte wegen des Bookings gehören aktuell bei uns zur Tagesordnung, um es direkt zu sagen. Es gibt so viele Faktoren: Timing, Finanzen, Verfügbarkeit. Grosse Künstler haben oft straffe Tourpläne. Wenn ein Slot in der Schweiz nicht ins Timing passt, ist man raus. Hinzu kommt, dass inzwischen utopische Gagen verlangt werden – oft ist der erste genannte Betrag komplett unrealistisch und realitätsfremd. Wir müssen dann sehen, ob wir eine Lösung finden, die ins Budget passt.

Sind die Künstlergagen in den letzten Jahren stark gestiegen?
Ja, das ist eines der Hauptprobleme. Solange es Veranstalter gibt, die horrende Summen zahlen, wird sich daran nichts ändern. In der Schweiz stört uns eine ähnliche Entwicklung: Junge, aufstrebende Künstlerinnen und Künstler verlangen teilweise bereits sehr früh hohe Gagen ohne Wenn und Aber. Dabei wäre es mindestens genauso wichtig, gute Beziehungen zu knüpfen und eine Bühne zu haben. Auch wir haben in den Anfängen unserer Eventfirma öfters Aufträge angenommen, bei denen wir zwar nichts verdienten, die uns aber andere Türen geöffnet haben.

Gibt es Künstler und Künstlerinnen, die Sie früher gebucht haben, heute aber zu teuer wären?
Leider viele. Ein Beispiel ist Cypress Hill. Ihre Gage hat sich im Vergleich zu vor acht Jahren, als wir sie buchten, verdoppelt, aber wir haben 2023 nur halb so viele Tickets verkauft wie damals. Das zeigt, wie dramatisch sich der Markt, respektive die Nachfrage verändert hat.

Cypress Hill am letzten Royal Arena Festival 2023 Dominik Rickli

A$AP Rocky gehört wohl auch dazu.
Ja, definitiv. Als er 2019 beim Royal Arena auftrat, war das ein Glücksfall. Alles hat gepasst: der Tourplan, die Daten, der Kontakt zu den Agenten – und wir hatten das Budget. Heute wäre das undenkbar. Die Gagen für Künstler in seiner Liga sind explodiert, und ohne massive Unterstützung könnten wir das nicht mehr stemmen. Dass wir A$AP Rocky damals hatten, war ein Highlight, das wir so wohl nicht so schnell wiederholen können.

War es einfacher, Leute für das Hip-Hop-Festival Royal Arena zu begeistern, als für das Lakelive, das ein gemischtes Festival ist?
Ja, vor einigen Jahren war dies einfacher. Aber das hat sich geändert. Das beste Beispiel war der Royal-Arena-Abend am Lakelive diesen Sommer mit Nas und Trettmann. Diese Acts hätten wir auch am Royal Arena so gebucht. Aber dort wäre der Abend so nicht finanzierbar gewesen. Diese Tatsache war für uns die Bestätigung, dass der Entscheid, das Royal Arena vorerst auf Eis zu legen, der richtige war. Das Lakelive dagegen hat ein breiteres Fundament. Wir können auf Sponsoren und verschiedene Förderungen zählen. Das Royal Arena war stärker auf Ticketverkäufe angewiesen, und das wurde zum Problem.

Nas am Royal-Arena-Abend 2024 Dominik Rickli
Trettmann auf der Bühne Dominik Rickli

Das klingt, als ob ein Revival des Royal Arena in den nächsten zwei Jahren unrealistisch ist.
Das kann man so sagen. Die Kosten für Künstler, Infrastruktur und Organisation sind schlicht nicht mehr tragbar. Dazu kommt, dass Hip-Hop heute an jedem Stadtfest oder Festival mit gemischter Musik zu hören ist. Das war vor zehn Jahren anders, als das Royal Arena eine klare Nische bediente. Ein Comeback sehen wir deshalb aktuell nicht.

Es bräuchte also auf allen Ebenen einen Gegentrend.
Genau. Es müsste eine Art Marktbereinigung geben: weniger Konzerte, tiefere Gagen und eine Entspannung auf dem Sponsorenmarkt. Es bräuchte ein kleines Wunder, aber das ist utopisch. Der Wettbewerb ist hart, und wir haben keinen Mäzen oder eine Stadt, die uns finanziell gegen ein Defizit absichert – weder beim Royal Arena noch beim Lakelive.

Ein paar Gedankenspiele: Was, wenn man das Royal Arena in einem grösseren Rahmen, über drei Tage oder zwei mal zwei Tage über zwei Wochenenden verteilt, durchführt?
Das Risiko wäre zu gross. Wir haben in den letzten Jahren viel Geld verloren, und ohne finanzielle Absicherung können wir uns das nicht leisten. Sprich, es wäre fahrlässig und wir würden einen Konkurs riskieren. Das haben wir stets verhindern wollen, uns war immer wichtig, alle Rechnungen bezahlen zu können.

Und was, wenn man es sehr viel kleiner durchführt, mit nur einer Bühne und nur Schweizer Künstlern?
Das würde dem Konzept des Royal Arena nicht gerecht werden. Die Leute würden sich fragen, warum es plötzlich so klein ist und das kaum akzeptieren. Gesund und richtig klein zu werden, ist extrem schwierig.

Also gibt es definitiv kein Royal Arena Festival mehr?
Das ist wohl der realistischste Ansatz.

Zurück zum Lakelive: Stirbt das auch bald?
Nein, wir sind breit abgestützt und wollen über die Generationen hinaus wirken. Unser Ziel wäre, dass eine Familie den Tag mit den Kindern am Lakelive am See verbringt, die Kinder dann zu den Grosseltern gehen und die Eltern bleiben für die grossen Konzerte am Abend. Und im besten Fall erinnert sich das Kind zehn Jahre später daran und sagt: «Jetzt will ich auch an die grossen Konzerte.» Das ist unsere Vision und für diese geben wir Tag für Tag alles. So versuchen wir den Trend, dass Junge immer weniger an Festivals kommen, umzukehren.

Matthias Käser

Das klingt vielversprechend. Gehört das Lakelive also bald zu den grössten Festivals der Schweiz?
Wir wissen, dass wir in einer anderen Liga spielen als die ganz Grossen. Wir versuchen nicht, mit ihnen zu konkurrieren, sondern setzen auf Qualität und ein breites und einzigartiges Angebot. Musik bleibt unser Kern, aber Sport- und Kulturprogramme machen uns einzigartig. Uns ist bewusst, dass wir nie die ganz grossen Headliner haben werden, die fünfmal das Hallenstadion füllen, aber das ist auch nicht unser Anspruch. Vielleicht können wir diese Acts dafür vielleicht zehn Jahre später auf unsere Bühne holen.

Das klingt so, als wäre die Ausgabe 2025 nicht die letzte.
Nein. Wir haben sehr viel Liebe, Herzblut, Schweiss und Tränen investiert und sind jetzt an einem Punkt, wo die Leute unser Konzept, unsere Vision begreifen, mittragen und feiern. Wir haben treue Partner, die viel Vertrauen in unser Konzept haben, zudem ein eingespieltes, engagiertes Team. Das alles motiviert extrem. Und wir haben die Politik von links bis rechts mehr oder weniger hinter uns – und das muss man in unserer Region erstmal schaffen. Wir haben gerade erst die Leistungsverträge mit den Städten Biel und Nidau für die nächsten drei Jahre unterschrieben und hoffen, dass dies nicht die letzten waren.

Ein krächzender Schrei hallt durch den nebligen Wald am Bözingenberg. Es ist der Ruf der neusten Bewohner des Tierparks, genauer gesagt, des Weibchens davon. Nähert man sich der Voliere, hat man das Gefühl, sie sei leer. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man die beiden Tiere, die gut im Herbstwald getarnt sind.

Sie sehen aus wie ein Stück Birkenrinde mit Flechten. Kommt man näher, dreht sich schlagartig ein Kopf um 180 Grad, zwei pechschwarze Augen beobachten das Geschehen, dazwischen ein spitzer, gelber Schnabel: zwei Habichtskäuze. Das Männchen stammt aus dem Tierpark Goldau und das Weibchen aus der Greifvogelstation Berg am Irchel im Kanton Zürich.

Anne-Camille Vaucher

Das Pärchen, das seit einigen Wochen im Tierpark lebt, soll bald eine wichtige Aufgabe übernehmen: nämlich Nachwuchs zeugen. Dieser soll dann in Österreich ausgewildert werden – und so für das Überleben der dort einst ausgestorbenen Vogelart sorgen.

Ein Herzensprojekt

Die beiden Habichtskäuze sind der Stolz von Shani Baumgartner, der Biologin des Tierparks. «Die beiden sind mein absolutes Herzensprojekt», sagt sie.

Biologin Shani Baumgartner Anne-Camille Vaucher

Auch wenn die Tiere nur «leihweise» in Biel sind: «Wir haben einen Einstellungsvertrag, die Vögel gehören – anders als die anderen Tiere – nicht dem Tierpark», sagt Baumgartner. Heisst: Die österreichische Stiftung Habichtskauz-Wiederansiedlung, die für die Auswilderung verantwortlich ist, darf jederzeit einschreiten. Und etwa die Tiere in einen anderen Zoo verlegen. Die Stiftung koordiniert so auch die Nachzucht und schaut, dass die genetische Vielfalt unter den ausgewilderten Tieren möglichst gross ist. Der Tierpark muss aber die Kosten für Pflege, Futter und den Transport ins Auswilderungsgebiet übernehmen. Auch deswegen sucht der Tierpark noch Sponsoren für das Pärchen.

Die Idee zur Teilnahme am Auswilderungsprojekt stamme vom vorherigen Tierparkleiter, Sven Fässler, der bis Ende Januar in Biel gearbeitet hat, sagt Baumgartner. Sie habe sich dann mit dem Verantwortlichen für die Koordination der Zucht in der Schweiz getroffen und sich ausgetauscht. Schliesslich kam heraus: Der Tierpark Biel könnte einem Habichtskauz-Paar eine passende Voliere bieten.

Turmfalken raus, Habichtskäuze rein

Dann sei der Ball ins Rollen gekommen. In Österreich wurde alles Formelle mit der Stiftung abgehandelt, in Biel bereitete man die Voliere für die Neuankömmlinge vor. Die Turmfalken und die Schleiereulen mussten raus, die Einrichtung etwas umgestaltet werden – und die hintere Seite gar mit Brettern abgedunkelt werden.

«Solche Dinge haben wir aus Goldau und Berg am Irchel mitbekommen. Der Zuchterfolg sei so einfach wesentlich höher», so Baumgartner. Die Stiftung gab dann das Okay, der Lebensraum entspreche den Bedürfnissen der Vögel.

Anne-Camille Vaucher

Gut eingelebt hätten sich beide Käuze in Biel schnell – und auch schon erste Annäherungsversuche unternommen, meint Baumgartner. Die Tiere leben in der Natur monogam, haben also ein Leben lang denselben Partner.

Die gefährlichsten Tiere am Bözingenberg

Zumindest das Männchen hat in Biel gar einen alten Bekannten getroffen: den Tierparkleiter Luca Bordoni, der bis Anfang dieses Jahres in Goldau aus Tierpfleger arbeitete. Er hat nicht nur gute Erinnerungen an die grossen Eulen – und trägt gar Narben von den langen und scharfen Krallen. «Sie zählen zu den gefährlichsten Tieren im Tierpark», sagt Bordoni lachend. Sie sind also fast gefährlicher als Wolf, Wildschwein und Rothirsch.

Gerade in der Paarungszeit würden die Vögel ihr Territorium mit allen Mitteln verteidigen. So trägt Bordoni immer eine Kopfbedeckung und einen Rechen, wenn er die Voliere betritt. «Die Vögel greifen den höchsten Punkt an, und wenn man den Rechen über den Kopf hält, gehen sie darauf los.»

Von diesem Wissen kann jetzt sein Team in Biel profitieren.

Nur noch «sinnvolle» Tiere

Auf die Frage, weshalb er so ein Risiko, den Aufwand und die Mehrkosten für einen Transport nach Österreich überhaupt auf sich nimmt, sagt Luca Bordoni: «Es ist wichtig, in Zukunft sinnvolle Tiere im Tierpark zu haben.» Tiere mit Sinn, also entweder solche, die sich, wie der Habichtskauz, auswildern lassen und so zum Arterhalt beitragen, oder solche, mit denen sich Wissen vermitteln lässt.

Die Appenzeller Spitzhaubenhühner, die das Tierpark-Team in den Armen hält, sind eine bedrohte Schweizer Nutztierart und damit in den Augen von der Biologin Shani Baumgartner und Tierparkleiter Luca Bordoni «sinnvolle» Tiere. Anne-Camille Vaucher

Ein gutes Beispiel dafür seien die Mongolischen Wölfe. Die lassen sich aus mehreren Gründen nicht auswildern. Aber durch die drei Tiere kann der Wolf, der in der Schweiz immer mehr zum Gesprächsstoff wird, bestens thematisiert werden. Und die Besuchenden können bis auf wenige Meter an die Raubtiere herankommen.

Auch der Rothirsch sei so ein Tier. Die Bestände in der Schweiz seien momentan stabil, sagt Biologin Shani Baumgartner. «Aber solange es noch Menschen gibt, die den Unterschied zwischen einem Reh und einem Hirsch nicht kennen, werden wir sie wohl bei uns haben.»

Steinböcke auswildern?

Etwas überraschend bringt sie auch eine Auswilderung der Steinböcke ins Spiel. Von denen gibt es doch viele in Alpen und Jura.

«Das schon», sagt Baumgartner. «Aber die genetische Vielfalt ist klein, da sie alle von ein paar wenigen Tieren abstammen.» Vor gut hundert Jahren gab es in der Schweiz keinen einzigen Steinbock mehr. Die heutigen Bestände stammen allesamt von denselben 100 Tieren ab, die unter dem Schutz des italienischen Königs überlebten. So gibt es seit einiger Zeit erste gezielte Auswilderungen von Zoosteinböcken, um die Gene in den Herden aufzufrischen. Der Tierpark prüfe derzeit, sich auch dort anzuschliessen, bestätigt Leiter Luca Bordoni.

Tierparkleiter Luca Bordoni Nik Egger

Tiere, die in Gefangenschaft aufgewachsen sind, auszuwildern, sei immer so eine Sache, sagt Shani Baumgartner. «Man kann nicht einfach die Tür öffnen und die Tiere in die Freiheit entlassen.» Jagdtrieb und Fluchtinstinkt müssen ausgeprägt sein, daneben müssen sie oft Dinge von ihren Eltern oder anderen Tieren lernen. «Bei den Habichtskäuzen geht das aber relativ einfach.»

 

Anne-Camille Vaucher

Sonderfall «Adoption» durch Wildvögel

Habichtskäuze lernen wenig von ihren Eltern und werden früh selbstständig. Als Jungtiere kommen sie dann in eine Angewöhnungsvoliere im Wienerwald in Österreich, wo sie lernen, lebendes Futter zu jagen. Dann werden sie in die Freiheit entlassen.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass etwas Erstaunliches passiert: Die bereits ansässigen Tiere vor Ort nehmen die ausgewilderten Jungvögel unter ihre Fittiche, adoptieren sie sozusagen und zeigen ihnen die ersten paar Monate das Leben in der Freiheit, erklärt Richard Zink, Projektleiter der Wiederansiedlung, in einem Video des Zoos Zürich. «Wenn der erste Frost kommt, vertreibt das ortsansässige Paar die Jungtiere und diese müssen sich – mit allem nötigen Rüstzeug ausgestattet – ihr eigenes Revier suchen.»

Im besten Fall sorgen die beiden Habichtskäuze im Tierpark Biel schon nächsten Frühling für Nachwuchs. Dieser würde dann Mitte Sommer in den Wienerwald gebracht – sofern sich die Jungtiere für eine Auswilderung eignen. Dazu müssen sie nicht nur die genetischen Anforderungen erfüllen, sondern auch scheu sein. Wer sich zu stark an die Menschen im Zoo gewöhnt hat, muss bleiben.

Zoos schreiben sich schon länger Arterhalt auf die Fahne, unter anderem, indem gewisse Arten durch Zoos überhaupt am Leben erhalten werden. Sterben sie in der Wildnis aus, könnte mit den Beständen in Zoos wieder ein überlebensfähiger Bestand in der Wildnis angesiedelt werden, so die Theorie. Beispiele wie die Wiederansiedlung der Bartgeier, der Steinböcke oder der Luchse in der Schweiz bestätigen dies. Auch die Arabische Oryx-Antilope war einst ausgestorben in freier Wildbahn, heute sind die Bestände wieder stabil.

Allerdings ist die Auswilderung oft kompliziert. Bei Menschenaffen zum Beispiel: «Junge Orang-Utans lernen unglaublich viel von ihren Müttern. Bis zu neun Jahre bleiben die Jungtiere bei ihnen, lernen sich im Wald zu bewegen und welcher Baum wann, wo Früchte trägt», schreibt Severin Dressen, Zoodirektor des Zoos Zürich, in seiner Kolumne im «Blick». Aber: Auch bei solchen Tieren würden durch aufwendige Programme immer mehr Auswilderungen gelingen. Im letzten Jahr waren es allein in der Auffangstation Paneco, die der Zoo Zürich unterstützt, 17 Affen gewesen, in den letzten 20 Jahren über 450.

Derzeit gibt es aber auch Grenzen. Tierarten wie Wale, die in hochkomplexen Strukturen leben, etwa. Für den Orca, der die Hauptrolle im Film «Free Willy» besetzte, wurden insgesamt zwischen 20 und 30 Millionen Franken ausgegeben. Am Ende scheiterte eine Auswilderung – wenn auch nur knapp: Mehrmals schwamm der Orca mit verschiedenen Gruppen mit, verlor diese dann aber jeweils wieder.

Zudem gibt es gewisse Arten, bei denen eine Auswilderung unmöglich ist – etwa weil ihr Lebensraum zerstört ist oder in einem Kriegsgebiet liegt.

Zoos sind umstritten: Reine Tierausstellungen haben heute keine Existenzberechtigung mehr, es braucht mehr. Der Tierpark Biel ist auf dem richtigen Weg, zu den modernsten aufzuschliessen.

Bildung, Naturschutz, Forschung, Artenschutz. Das sind die vier Grundpfeiler des Zoos Zürich, eines der fortschrittlichsten Zoos der Welt. Der Tierpark Biel macht jetzt einen grossen Schritt in diese Richtung. Als erst achter Zoo in der Schweiz beteiligt sich der Tierpark Biel mit einem Zuchtpaar an der Auswilderung einer bedrohten Tierart – und erfüllt damit die letzte der vier Säulen eines modernen Zoos, den Artenschutz.

Die Bildung wird mit Führungen, Tafeln, aber auch mit der physischen Nähe zu Tieren abgedeckt, der Naturschutz findet mit dem jüngst eröffneten Insektenpfad auch direkt im Park statt und wissenschaftliche Forschungen werden immer wieder durch Externe im Tierpark betrieben.

Damit rechtfertigt der Tierpark Biel seine eigene Daseinsberechtigung. Die Zeiten, in denen Zoos reine Tierschauen waren, sind vorbei. Damit ein Zoo heute noch eine Daseinsberechtigung hat, muss er höhere Ziele verfolgen, als bloss den «Jöö-Effekt» bei den Besuchenden und Geld in den Kassen durch möglichst ausgefallene Tiere zu erzielen.

Der Entscheid des Tierparkvereins, nach der Pension des langjährigen Leiters auf junge und progressive Leute zu setzen, die aus den modernsten Zoos der Schweiz nach Biel kamen, war der richtige. Nachdem der Tierpark Biel lange hinterherhinkte und die Unterhaltung das Hauptziel war, ist er nun in der Welt der modernen Zoos angekommen – für die Natur, aber auch für das eigene Überleben. Das braucht es, denn die «alten Zoos» sind nicht mehr zeitgemäss und werden zusehends aussterben.

Sie hat azurblaue Federn, ist fast so gross wie eine Krähe und hält sich nur als Durchzüglerin in der Schweiz auf: die Blauracke. Derzeit hält sich ein Exemplar am Rande des Seelands auf, genauer in Grächwil bei Meikirch. Der seltene Vogel verzückt dort die Tierfotografen der Region.

So etwa Urs Schaefer aus Aarberg. Er versucht bereits seit einiger Zeit, eine Blauracke vor die Linse zu bekommen. Letztes Jahr habe er zwar ein Exemplar einer Blauracke in Fraubrunnen gesehen, dieses aber nicht fotografieren können.

Urs Schaefer

Nun gelangen ihm mehrere Bilder einer Blauracke in Meikirch, und er feierte so seine persönliche Premiere, wie er sagt. Möglich war dies allerdings nur, weil sich das Exemplar sehr atypisch verhält. Denn: Der Vogel ist bereits seit mindestens einem Monat am selben Ort zwischen Biel und Bern. Und so ein langer Aufenthalt sei aussergewöhnlich, wie Livio Rey von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach sagt.

«Normalerweise bleiben sie nicht länger als ein paar Tage.» Die Blauracke in Meikirch sei zum ersten Mal am 10. September gesichtet worden, hält sich inzwischen also seit fast anderthalb Monaten am gleichen Ort auf.

Drastischer Rückgang

Dem seltenen Vogel scheint es am Rande des Seelands zu gefallen – oder zumindest findet er hier derzeit genügend Nahrung, wie Rey sagt. Sonst gebe es keine Gründe, dass die Blauracke sich so lange am selben Ort aufhält. Auch wenn die Landschaft um Meikirch genau ihr Ding wäre: «Sie ist gerne in warmen und halb offenen Kulturlandschaften anzutreffen», sagt Rey.

Früher sei die Blauracke öfters in der Schweiz zu Gast gewesen, sagt Rey. Allerdings haben die Bestände ab Mitte des letzten Jahrhunderts in ganz Europa abgenommen, weshalb auch hierzulande weniger Exemplare zu sehen waren.

Der Rückgang sei durch die Intensivierung der Landwirtschaft im Lauf des 20. Jahrhunderts bedingt, wodurch viele Grossinsekten verschwanden, von denen sich die Blauracke ernährt, so der Vogelexperte. Heute sei sie ein «alljährlicher, aber seltener» Gast. Gebrütet habe sie in der Schweiz nie.

Jäger der seltensten Vögel der Schweiz

Zumindest den Fotografen Urs Schaefer freut die Rückkehr des schillernden Vogels. Er konnte mit den Fotos des Tieres einen speziellen persönlichen Erfolg verbuchen. Denn der Aarberger ist seit einigen Jahren mit der Kamera auf der Jagd nach den seltensten Vögeln des Landes. So konnte er etwa schon Eisvogel, Bienenfresser, Bartgeier, Schwarzspecht, Rotfussfalke, Gleitaar und Pfuhlschnepfe fotografieren. Ein spezielles Erlebnis hatte er mit einem Bartgeier: «Umgeben von Bergen, oben am Rand einer Felswand stehend, diesen riesigen Vogel über sich hinwegfliegen zu sehen, ist unglaublich eindrucksvoll.»

Mit seinen Vogelbildern will er aber auch Menschen begeistern: «Wenn jemand sagt, ‹diesen Vogel habe ich noch nie gesehen›, habe ich doch wieder jemandem einen Hinweis auf unsere vielfältige Natur geben können.»

Urs Schaefer
Urs Schaefer
Urs Schaefer

Schaefer fotografiert zwar bereits seit jungen Jahren, sei aber erst nach seiner Pensionierung so richtig in die Materie eingetaucht. Erst mit Landschafts- und Reisefotografie, dann kaufte er sich ein Teleobjektiv und machte damit Jagd auf Blumen, Schmetterlinge und Libellen.

«Als mir dies immer besser gelang, versuchte ich auch, Vögel zu fotografieren. Dazu benötigte ich aber noch ein besseres Teleobjektiv», sagt Schaefer. So konnte er die Vögel schliesslich aus einer ausreichenden Entfernung ablichten, sodass er diese nicht mehr verschreckte. Als Königsdisziplin lernte er, Fotos von fliegenden Insekten und Vögeln zu machen. Dazu war aber mehr nötig als nur ein grosses Objektiv. Und zwar lernte Schaefer viel über das Verhalten der Vögel, wie ihre bevorzugten Aufenthaltsorte, ihre Nahrung und bei welchem Wetter und welcher Tageszeit die Tiere aktiv sind. Und nur so würden dann solch schöne Bilder wie die der Meikircher Blauracke entstehen.

Sie wird gehen – und vielleicht wiederkommen

Ewig haben die Tierfotografinnen und Tierfotografen aber nicht mehr Zeit, um den blauen Vogel in Meikirch abzulichten, wie lange er noch in der Region zu sehen ist, sei ungewiss. «Früher oder später wird er abfliegen, denn die Blauracke überwintert in Afrika», sagt Livio Rey von der Vogelwarte.

Allerdings könnte der Vogel in Zukunft immer öfters anzutreffen sein: «Mit der Klimaerwärmung ist es möglich, dass die Blauracke wieder häufiger in der Schweiz auftritt, was in den letzten Jahren bereits zu beobachten war», sagt Rey. Dies könne aber auch ein negatives Zeichen sein und mit den Dürren in Südeuropa zusammenhängen, vor denen die azurblauen Vögel flüchten.

Lange blieb es still im Bieler Tierpark am Bözingenberg. Dann passierte in den letzten zwei Jahren plötzlich sehr viel: Ein neuer, junger Direktor wurde angekündigt. Sven Fässler kam aus dem grossen Zoo Zürich – und brachte sogleich drei Wölfe mit nach Biel, die zur neuen Hauptattraktion des Tierparks wurden.

Dann, nach rund einem Jahr im Amt, verliess er den Tierpark Biel bereits wieder in Richtung Kinderzoo Rapperswil. Sein Nachfolger, ein Tessiner, der zuvor im Tierpark Goldau gearbeitet hat, übernahm die Leitung im April dieses Jahres. Ein halbes Jahr ist Luca Bordoni nun im Amt.

Luca Bordoni, Sie stammen aus dem Tessin. Wie kommen Sie mit dem Bieler Klima zurecht?
Luca Bordoni: In den ersten paar Monaten hat es fast nur geregnet, mir fehlte ein wenig der Sommer und die Sonne, wie ich es aus dem Tessin kenne. Aber ich bin Tierpfleger, die Arbeit muss immer erledigt werden, egal bei welchem Wetter. Ich wohne jetzt auch in Biel, ein paar Minuten vom Tierpark entfernt. Das muss so sein, weil ich jetzt sozusagen mit dem Tierpark verheiratet bin. Und er braucht viel Aufmerksamkeit, wie eine Frau (lacht).

Nehmen Sie sich zumindest die Wochenenden frei?
Nicht immer (lacht). Ich bin schon fast täglich hier im Tierpark, ausser wenn ich reise. Ich besuche sehr gerne andere Städte übers Wochenende – dort besuche ich auch immer einen Zoo. Und jetzt kann ich auch das Tessin als Tourist besuchen. Wie ein echter Deutschschweizer.

Nik Egger

Nach Ihren ersten sechs Monaten hier im Tierpark Biel: Was gefällt Ihnen besonders, was empfinden Sie als schwierig?
Die ersten Monate hier waren wirklich gut, aber auch herausfordernd. Ich musste in kurzer Zeit viel lernen, und ich konnte keine gestaffelte Übergabe mit meinem Vorgänger machen. Dazu kam die Sprachbarriere. Glücklicherweise habe ich eine gute Biologin an meiner Seite, die mir einiges gezeigt hat. Besonders beeindruckt bin ich davon, dass der Tierpark kostenlos ist und wir so auch Menschen sensibilisieren können, die sonst kaum Zugang zu einem Zoo haben. Insbesondere für europäische Tiere, die oft weniger Aufmerksamkeit erhalten als exotische Arten. Viele Leute kennen zwar Löwen und Elefanten, wissen aber nicht, dass wir Steinböcke haben in den Alpen.

Nik Egger

Ihre Muttersprache ist Italienisch. Wie erleben Sie die sprachliche Situation im Alltag in Biel und im Tierpark?
Als ich vor ein paar Jahren in den Tierpark Goldau kam, konnte ich gar kein Deutsch. Dort wollten alle nur Schweizerdeutsch sprechen, was es zusätzlich schwerer machte. Nun kann ich ein wenig Deutsch, lerne aber immer noch viel. Die Zweisprachigkeit in Biel hilft dabei: Dank der vielen verschiedenen Nationalitäten hier bemühen sich alle, miteinander zu kommunizieren. So ist es auch für mich leichter, besser Deutsch sprechen zu lernen. Es ist auch erstaunlich, wie gut man sich versteht, selbst wenn einer Französisch spricht und der andere auf Deutsch antwortet. Das macht Biel wirklich einzigartig.

Haben Sie ein Lieblingstier, auch im Tierpark Biel?
Besonders bin ich von Nashörnern und Krokodilen angetan, sie sind so mächtig und beide haben sich seit der prähistorischen Zeit kaum mehr entwickelt. Im Tierpark habe ich eine besondere Verbindung zu den Wölfen, insbesondere zum Weibchen im Rudel. Wölfe sind wunderschöne Tiere, und es ist schade, dass sie oft kontrovers diskutiert werden. Unsere Aufgabe ist es, diese Tiere zu zeigen und die Besucher über sie zu informieren, ohne uns auf eine Pro- oder Kontra-Position zu stellen.

Dominik Rickli
Dominik Rickli

Sie waren zuvor im Tierpark Goldau in der Innerschweiz tätig. Was könnte Biel von Goldau lernen und vielleicht auch umgekehrt?
Biel kann sicherlich von Goldau in Bezug auf Organisation und Arbeitsabläufe lernen. Dort gibt es standardisierte Prozesse, welche die tägliche Arbeit erleichtern. Und der Eintrittspreis macht vieles einfacher, wir hier sind auf Spenden und die Unterstützung der Stadt angewiesen.
Andererseits fehlt es in Goldau ein wenig an handwerklicher Arbeit. Hier in Biel kann man sich direkt um kleinere Reparaturen kümmern, ohne auf andere Abteilungen angewiesen zu sein.

Sollte der Tierpark Biel einen Eintrittspreis einführen?
Schwierige Frage. Für mich wäre das keine gute Idee. Dass er kostenlos ist, halte ich für einen der grossen Vorteile des Tierparks. Das gibt den Menschen, vor allem Familien, die Möglichkeit, die heimischen Tiere zu erleben, ohne dafür bezahlen zu müssen. Die Einführung eines Eintrittspreises würde auch erhebliche Kosten verursachen, etwa für Personal und Infrastruktur, wie Kassenhäuschen und Zäune. Trotzdem wäre die finanzielle Sicherheit, die ein Eintrittspreis mit sich bringt, wichtig, um den Park weiterzuentwickeln.

Braucht eine Stadt wie Biel überhaupt einen Tierpark?
Ja, unbedingt. Ein Tierpark wie unserer ist wichtig, um das Bewusstsein für heimische Tiere zu schärfen. Viele Menschen kennen exotische Tiere, aber europäische Arten sind ihnen weniger vertraut. Der Tierpark kann hier Aufklärungsarbeit leisten und nahe der Stadt Erholungsraum für Familien bieten.

Tierparkleiter Luca Bordoni Nik Egger

Was sind Ihre nächsten Pläne und Projekte für den Tierpark?
Das Nächste ist die Renovierung des Spielplatzes, um den Besuchern, vor allem den Kindern, ein besseres Erlebnis zu bieten. Ausserdem arbeiten wir gerade an einem Insektenpfad mit einem grossen Insektenhotel und Trockenmauern für Reptilien. Es ist uns wichtig, ein Bewusstsein für die Biodiversität zu schaffen und den Besuchern zu zeigen, wie wichtig Insekten für unser Ökosystem sind.
Daneben sind im Frühjahr Zwergmäuse bei uns im Hirschhaus eingezogen und vor Kurzem haben wir eine Voliere für die gefährdeten Appenzeller Spitzhaubenhühner hergerichtet. Das ist eine Pro-Specie-Rara-Rasse.
Und dann haben wir ein neues Projekt, und zwar die Auswilderung von Habichtskäuzen. Die sind in Österreich ausgestorben und jetzt gibt es ein grosses Auswilderungsprojekt mit vielen beteiligten Zoos. Erst vor einigen Wochen ist ein Habichtskauz-Pärchen bei uns in Biel eingezogen.

Pro Specie Rara ist eine nicht gewinnorientierte schweizerische Stiftung, welche die «Erhaltung und Förderung der genetischen Vielfalt in Fauna und Flora» als Ziel hat.
Insbesondere gefährdete Schweizer Nutztierrassen und Kulturpflanzen sollen so erhalten werden. Dazu gehören etwa das Evolèner Rind, die Walliser Schwarzhalsziege und die Capra Grigia (beide ebenfalls im Tierpark Biel vertreten), der Appenzeller Sennenhund und das Freiberger Pferd aus dem Jura, aber auch die Apfelsorte Berner Rose oder der Buchweizen zählen zu den geförderten Arten.

Ihr Vorgänger Sven Fässler hatte auch die Vision, mal einen Lebensraum für Fischotter zu bauen. Ist das auch ein Ziel von Ihnen?
Ja, die Idee der Fischotter ist an sich ein sehr spannendes Projekt. Allerdings ist es ein grosses und teures Vorhaben, das eine umfassende Planung und erhebliche finanzielle Mittel erfordert. Der Bau eines Lebensraums für Fischotter an sich – mit Schwimmbereich und Unterwasser-Einsicht – ist teuer, aber auch die Betriebskosten sind hoch. In den nächsten Jahren möchte ich mich zunächst auf kleinere Projekte konzentrieren und sehen, wie wir den bestehenden Lebensraum und das Wohl der Tiere verbessern können. Wenn jedoch ein grosszügiger Sponsor auftauchen würde, der dieses Projekt finanzieren möchte, wäre ich natürlich offen dafür, den Traum von einem Fischotter-Lebensraum zu verwirklichen.

Wie verlief die Übergabe mit Ihrem Vorgänger? Gibt es Projekte, die er begonnen hat und die Sie weiterführen möchten?
Die Übergabe war leider etwas holprig, da wir keine gemeinsame Zeit hatten. Er musste seine neue Stelle bereits antreten, bevor ich in Biel sein konnte. Dennoch stammen viele der aktuellen Projekte aus seiner Feder, wie zum Beispiel der Insektenpfad. Etwas habe ich verworfen: Honigbienen zu halten habe ich aufgrund der möglichen negativen Auswirkungen auf Wildbienen des Insektenpfades nicht weiterverfolgt.

Dominik Rickli

Wie stellen Sie sich den Tierpark in 20 Jahren vor?
Es ist schwer, so weit in die Zukunft zu blicken. Ich wünsche mir, dass der Tierpark weiterhin einen starken Fokus auf Bildung und Sensibilisierung legt. Mehr Informationstafeln und Führungen für Besucher sind einige der Dinge, die ich umsetzen möchte. Wenn wir mehr Mitarbeiter hätten, könnten wir auch mehr Angebote für Schulklassen und Besuchergruppen schaffen.

Was, wenn Sie unbeschränkte Mittel und unendlich viel Platz hätten?
Mit unbegrenzten Mitteln und Platz würde ich definitiv versuchen, den Tierpark zu erweitern. Das Projekt der Fischotter würde ich angehen oder vielleicht sogar wieder einen Lebensraum für Luchse bauen (Anm. d. R.: Bis 2020 lebten Luchse im Tierpark. Die Anlage, in der nun die Habichtskäuze leben, ist nach heutigen Erkenntnissen aber nicht mehr artgerecht). Ausserdem würde ich ein Haus für einheimische Reptilien und Amphibien schaffen, da diese Tiere in Zoos kaum zu sehen sind. Zudem würde ich in mehr Personal und Technologien investieren, um optimale Lebensräume und Sicherheitskonzepte zu schaffen. Und natürlich: Mehr Auswilderungsprojekte und ein noch stärkerer Fokus auf gefährdete Tierarten und die Pro-Specie-Rara-Rassen wären für mich ein Ziel. Also die Schweizer Nutztierrassen zu schützen und erhalten.

Gehen auch Sie bereits nach einem Jahr wieder?
Nein, momentan ist es mein Traumjob. Es ist eine perfekte Stelle für mich, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Ich möchte auch nicht in einen grösseren Zoo, denn dort sitzt man als Leiter viel mehr im Büro. Hier habe ich auch noch viel mit den Tieren zu tun. Ich fühle mich hier sehr wohl und sehe es als meine Aufgabe, den Tierpark weiterzuentwickeln, so habe ich noch nie an einen Wegzug gedacht. Viele Menschen haben mir gesagt, dass diese Stelle perfekt zu mir passt und auch zum Tierpark, der mit mir wachsen kann. Mein Fokus liegt jetzt darauf, das Wohl der Tiere und meines Teams zu sichern und den Tierpark voranzubringen. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht, und ich bin gerne bereit, diese Zeit zu investieren.

Luca Bordoni, 27

  • Aufgewachsen im Tessin, 2017 Lehre als Wildtierpfleger mit exotischen Tieren in
    einem Zoo im Tessin
  • Ab 2021 Tierpfleger im Natur- und Tierpark Goldau, im ornithologischen Verein der Stadt Zug und für das kantonale Veterinäramt des Tessins
  • Seit 2022 Vorstandsmitglied im Schweizerischen Verband für die Berufsbildung
    in der Tierpflege (SVBT)
  • Seit April 2024 Tierparkleiter in Biel
  • Ist auf Instagram als «zookeeper_luca» unterwegs und klärt über das Tierreich auf. Er hatte in den letzten Jahren eine Partnerschaft mit dem Tessiner Fernsehen RSI.
    So erhielt er den Übernamen «Der mit den Tieren spricht»
Nik Egger