
Aus der Gondel abgeseilt
Immer wieder kommt es vor, dass in der Region Menschen aus Seilbahnen gerettet werden müssen, wenn diese eine Panne haben. Die Rettung wird regelmässig geübt. Bei der letzten Übung mit der Alpinen Rettung Schweiz Station Gstaad 6.11 und der BDG waren wir dabei und wurden aus einer stillstehenden Gondel «gerettet».
6.12.2022, 4:20
Es herrscht eine entspannte Stimmung, als sich mehrere Personengruppen an der Talstation der Eggli-Bahn in Gstaad einfinden. Dies ändert sich schlagartig: Plötzlich beginnt die Seilbahn zu laufen und das Bergbahnpersonal teilt die wartenden Leute auf die Kabinen auf. Zu den eingestiegenen Personen gehören auch zwei Kinder, eine Person im Rollstuhl und ein Hund – schliesslich müssen alle Rettungssituationen geübt werden.
Ich habe etwas weiche Knie, weiss nicht genau, was mich erwartet. Und ganz wohl ist mir auch nicht in der Höhe, wenn ich die sichere Gondelkabine dann verlassen muss.
Beklemmende Stille
Doch zuerst heisst es warten. Ich freunde mich mit meiner Begleitung an, mit der ich die Kabine teile und die ich vorher nicht gekannt habe. Nachdem wir ein Stück am Berg hinaufgefahren sind, hält die Seilbahn an und wir sitzen in der Stille und der Dunkelheit der Nacht.
Eine ganze Weile vergeht, bis meine Begleitung plötzlich Stimmen und Lichter am Boden unter uns bemerkt: Das Rettungsteam ist offenbar ausgerückt – nachdem es in einem internen Briefing besprochen hat, was es zu tun gilt.
Am nächsten Seilbahnmasten über uns klettern einige dieser Lichter, die wir zuvor am Boden gesehen haben, hoch. Wir wissen, lange würde es nicht mehr dauern, bis wir gerettet werden und endlich wieder festen Boden unter den Füssen haben.
Beruhigende Worte
Nachdem das Rettungsteam den Mast erklommen hat, beginnt es, am Seil herumzuhantieren. Kurze Zeit später erkennen wir, dass sich eine Person am Seil der Gondel zu uns herunter arbeitet, bald darauf ist sie auf dem Dach unserer Kabine. Man hört, dass da auf dem Dach etwas vonstattengeht, danach die Stimme des Retters, der uns bittet, von der Tür weg zu stehen, weil er diese jetzt öffnet.

Wenige Augenblicke später steht er in unserer Kabine und stellt sich mit ruhiger – ja sogar beruhigender – Stimme als Pascal vor und erklärt uns den Ablauf der Evakuation. Mit seiner professionell bestimmten und trotzdem einfühlsamen Art nimmt er uns gleich jegliche Ner- vosität und wir fühlen uns in guten Händen.
Wie James Bond
Pascal hilft uns, das Rettungsgeschirr anzuziehen. Dieses erinnert etwas an überdimensionale Windeln, die bis über die Schultern reichen. So kann man praktisch in den Seilen liegen.
Pascal gibt mir die Anweisung, mich rückwärts gegen die offene Gondeltür zu stellen und auf sein Zeichen zu warten. Langsam und kontrolliert gibt er mir mehr Seil, ich lasse meinen Körper blindlings nach hinten in die Dunkelheit kippen.

Nach kürzester Zeit hänge ich komplett aus der Gondel hinaus, nur mit den Füssen berühre ich den Kabinenrand noch. Dann stosse ich mich leicht ab und schwebe unter der Gondel im strömenden Regen des Gstaader Nachthimmels. Ich fühle mich wie in einem Actionthriller, in dem ein Spion unbemerkt in feindliches Gebiet eindringen muss.
Ich geniesse den einzigartigen Ausblick und merke dann, dass ich doch höher über dem Boden hänge als erwartet. Ich spüre wieder eine gewisse Nervosität. Doch ich erkenne auch, dass der Boden immer näher kommt, ohne dass ich davon gross etwas spüre, so sanft ist das Rettungsteam beim Abseilen.
Sicher am Boden
Unten wartet auch schon der Nächste vom Rettungsteam, der mir in der genau gleich beruhigenden Stimme Anweisungen gibt, wie ich mich für die sichere Landung zu verhalten habe. Am Boden angekommen, fragt er mich, wie es mir geht und ob ich etwas brauche – dann notiert er meine Personalien.
Alles akribisch genau durchgeführt, so wie sie es einstudiert haben. Wir warten darauf, bis meine Begleitung ebenfalls sicher am Boden angekommen ist und begeben uns dann zu Fuss – wir sind nur etwa 250 Meter von der Talstation entfernt – zurück zum Startpunkt.
In der Station werden wir von einer Bergbahnmitarbeiterin willkommen geheissen, die uns neben dem Aufnehmen der Personalien auch einen Kaffee anbietet. Sie weist uns in den Wartesektor in der Garage der Talstation ein, wo wir darauf warten, bis alle Bergbahngäste gerettet sind.
Sobald dies der Fall ist, gilt die Übung als beendet. Während das Rettungsteam ein Debriefing durchführt, sind die «Geretteten» zu Bratwurst und Getränken im Obergeschoss der Talstation eingeladen, wo man sich über dieses Erlebnis austauschen kann. Bei dieser Gelegenheit erzählt mir Rettungschef Simon Bolton auch, wie dankbar er um die gute Zusammenarbeit mit den Bergbahnen ist.
Ernstfall selten
Das Team der Alpinen Rettung Gstaad wirkt äusserst kompetent und eingespielt. Dies ist umso überraschender, wenn man bedenkt, dass es sich bei allen um Freiwillige handelt und es äusserst selten Ernstfälle gibt. Meist könne das Team der Bergbahnen die Störung beheben, bevor das Rettungsteam ausrücken müsse, oder eine Rettung mit dem Helikopter sei möglich. Dabei ist die Alpine Rettung Gstaad zwar auch eingebunden, jedoch sei ihr Job dabei einfacher.
Die meisten Ernstfälle finden allerdings im Gebirge – und ohne Seilbahn – statt. Umso wichtiger ist deshalb das Üben dieser seltener vorkommenden Seilbahnevakuierungen. Bei diesen wird nicht nur das Rettungsteam in seinen Abläufen gefestigt, sondern auch das hochkomplexe Rettungsmaterial instand gehalten und die Anwendung desselben geübt.
Ich werde auf jeden Fall beim nächsten Mal, wenn ich in einer Gondel sitze, die stehen geblieben ist, äusserst beruhigt sein und darauf warten, dass ich die Aussicht vom Seil aus geniessen kann.