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Familien vor dem Bankrott: Zwei Seeländer verkaufen Häuser und bauen Ruinen

Ein Lengnauer muss Hunderttausende Franken draufzahlen – obschon vertraglich anders ausgemacht. Kein Einzelfall, wie eine SRF-Recherche zeigt. Auf den Spuren eines Bauskandals zweier Seeländer.


Nicolas Geissbühler (Bieler Tagblatt)

3.02.2025, 19:31

«Es sollte mein Zuhause werden, aber es macht mich nur traurig.» Selim Demir* steht vor einem kleinen Einfamilienhaus, es ist ein Neubau in Lengnau. Der Carport ist noch immer im Bau, die Zufahrt nicht ganz fertig, ums Haus herum stehen Bauutensilien.

Vor über sechs Jahren haben er und seine Frau den Vertrag unterzeichnet. Und mittlerweile mehr als 150’000 Franken auf den vertraglichen Kaufpreis von 600’000 Franken draufgezahlt, zudem musste er zahlreiche Gerichtsprozesse durchstehen. Der Traum vom eigenen Haus ist für Demir zum Albtraum geworden. Ein Drama in fünf Akten.

I. Der Traum vom Eigenheim

Alles begann im Herbst 2018. Selim Demir kommt aus Lengnau, arbeitet bei einer Grenchner Uhrenfirma als Informatiker und seine Frau ist gerade zum ersten Mal schwanger. Die junge Familie hat ein verlockendes Angebot für ein kleines Eigenheim entdeckt: In Lengnau kann man für nur 600’000 Franken ein Haus mitgestalten, andere würden es dann bauen. Sechs Monate später sollte das Haus bezugsbereit sein, eine Technik mit vorgefertigten Betonelementen sollte dies möglich machen.

Aber: «Die Probleme begannen im Moment der Unterschrift», sagt Demir rückblickend. Er und seine Frau unterschreiben einen sogenannten Generalplanervertrag mit der Firma Cogespro und kaufen damit ein fertiges Einfamilienhaus, das noch nicht existiert. Der Generalplaner baut dann das Haus – oder lässt es bauen. Auf jeden Fall muss er von seiner Seite aus alles dazu beitragen, dass das Haus am Schluss steht, sagen Juristen gegenüber SRF.

Matthias Käser

Bereits bei Vertragsunterzeichnung müssen seine Frau und er einen grossen Geldbetrag bezahlen. 85’000 Franken seien mit der Unterschrift fällig gewesen, weitere 100’000 Franken nach Fertigstellung des Erdgeschosses. Sie seien unerfahren gewesen und hätten dies nicht hinterfragt, so Demir. «Wir haben ihnen vertraut.»

Sechs Monate später ist auf der Baustelle noch kaum etwas passiert. Die abgemachte Schlüsselübergabe ist mindestens fünfmal verschoben worden, die Familie immer wieder vertröstet. «Zuerst hiess es, Verspätungen seien normal, dann war es Corona und schliesslich die schlechte Arbeit der Handwerker.» Erreicht habe man die beiden Planer dabei kaum – und wenn, dann nur per E-Mail. «Damals haben wir die wahren Probleme noch nicht gekannt», sagt Demir.

II. Auf der Strasse gelandet

Irgendwann hiess es, die Familie könne nun einziehen. Demir hat daraufhin seine Mietwohnung gekündigt, in der er mit seiner Frau und seinem Kind lebte. Er war damals ebenfalls in Lengnau wohnhaft, unweit der Baustelle und besuchte diese immer wieder.

Wenige Tage vor Auslaufen der Kündigungsfrist erkannte er bei einem Besuch: Das Haus hatte noch nicht einmal ein Dach. Hier würde er kaum in wenigen Tagen einziehen können.

Panisch rief er bei den Planern an – erfolglos. Per E-Mail haben sie Demir vertröstet und gesagt, in fünf Tagen sei das Haus fertig. Erst als Demir insistierte und sagte, er habe gesehen, dass dies unmöglich sei, boten sie ihm eine vorübergehende Mietwohnung an. Allerdings in Reconvilier im Berner Jura. Für Demir, der in Grenchen arbeitet, keine Lösung. Er stand mit einer schwangeren Frau und einem Kleinkind auf der Strasse.

III. Nicht mal die Miete wurde bezahlt

So suchte die Familie auf eigene Faust eine Wohnung in der Nähe. «Gar nicht so einfach für nur einen Monat», sagt Demir. Denn nach wie vor sagten die Planer, das Haus sollte jeden Augenblick fertig werden.

Schliesslich wurde die Familie in Biel fündig, die Planer sollten für die Miete aufkommen, das war so abgemacht. Allerdings wollten diese den Mietvertrag nicht selbst unterschreiben, sondern bestanden gemäss Demir darauf, dass er selbst unterzeichnet. «Da wurde ich wieder stutzig», sagt Demir.

Solche Häuser hätten in Lengnau bereits sechs Monate nach Vertragsunterzeichnung bezugsbereit sein sollen. Matthias Käser

Doch es kam keine Nachricht, dass sie bald einziehen können. Dafür kam nach dem ersten Monat die Nachricht des Vermieters: Die Rechnung wurde nicht bezahlt. Sie könnten nicht bezahlen, sagte Cogespro damals gegenüber Demir, dieser bezahlte selbst. Am Ende wurden es volle neun Monatsmieten.

Das andere Problem: Demir ist mit seiner Familie nur mit minimaler Ausstattung losgezogen. Sie wollten in der neuen Wohnung alle Möbel aufeinander abstimmen und haben deswegen fast alle alten Möbel verkauft. «Wir hatten nicht mal mehr ein Bettgestell», sagt Demir. In der Folge schlief er während fast eines Jahres auf dem Boden. Selim Demir wurde depressiv.

IV. Das Geld ist weg
Demir und seine Frau gaben auf. Sie haben mittlerweile jegliche Hoffnung in Cogespro verloren und machen sich auf eigene Faust an die Fertigstellung des Hauses – und bezahlen fortan alles selbst, obschon sie bereits die gesamte vertragliche Bausumme eingezahlt haben. Denn vom einbezahlten Geld fehlt jede Spur: «Weder der Notar noch die beiden Planer wollten uns eine Antwort geben», sagt Demir.

Das Haus nahm langsam Form an. Doch Demir beschlich ein Verdacht. Durch die vielen Wechsel bei den Handwerkern und immer wieder neuen Firmen habe die Qualität des Hauses gelitten. «Manche arbeiteten ohne Helm, es wurde immer dubioser», so Demir.

2022 konnten sie schliesslich einziehen – vier Jahre nach Vertragsunterzeichnung und dreieinhalb Jahre nach der mit Cogespro ausgemachten Schlüsselübergabe. Sie waren damals die ersten, die in der Siedlung einziehen konnten. Die anderen vier Häuser befanden sich noch im Rohbau.

2022 konnte Selim Demir endlich ins Haus in Lengnau einziehen. Fertig war es aber immer noch nicht.

Doch dann kam der nächste Hammer: Offenbar wurden die Handwerker von Cogespro ebenfalls nicht bezahlt – und fordern nun hohe Summen von Selim Demir und seiner Frau.

V. Gefangen im Strudel der Probleme

Demir hatte in der Zwischenzeit gegen Cogespro, den Architekten und den Immobilienverwalter Strafanzeige eingereicht, nun musste er auch gegen die drohende Pfändung durch die Handwerksfirmen rechtlich vorgehen.

Vor Gericht einigte man sich in den meisten Fällen. Schlussendlich bezahlte Demir zusätzlich zu den 600’000 Franken, die das Haus hätte kosten sollen, über 150’000 Franken drauf. Dafür musste er eine zweite Hypothek aufnehmen. Doch es kommen immer wieder neue Kosten ans Licht: «Wenn das so weitergeht, kann ich bald nicht mehr weiterzahlen.»

Weitergehen wird es mit Sicherheit: Es stehen nämlich noch Rechnungen der Gemeinde Lengnau aus, wie diese bestätigt. Dabei handelt es sich um «reglementarische Anschlussgebühren der Elektrizitäts- und Wasserversorgung und Abwasserentsorgung». Sie würden im Verlaufe des Frühjahrs in Rechnung gestellt und dürften sich laut Gemeinde pro Haus auf weitere 20’000 bis 30’000 Franken belaufen.

Epilog: Eine unendliche Geschichte

Selim Demir sitzt im Wohnzimmer seines gepflegten, modernen Einfamilienhauses am grossen Esstisch. Seine Stirn liegt in Falten, sein Blick ist ratlos. Vor ihm ein Haufen Ordner und der Laptop mit Tausenden E-Mails, die in dieser Sache hin und her geschickt wurden. Das Haus ist zwar fertig, aber Selim rechnet bald mit den nächsten Problemen: Er vermutet, dass durch die vielen Wechsel der Handwerker Fehler gemacht wurden und das Haus in billigster Art und Weise gebaut wurde. «Wir wurden verarscht», sagt er.

Der Fall von Demir in Lengnau ist bei Weitem kein Einzelfall: Die beiden Planer hatten zahlreiche, fast identische Projekte in der gesamten Nordwest- und Zentralschweiz. Und den Traum vom Eigenheim hatten auch viele andere Familien. Wie Demir nehmen sie dafür ihr gesamtes Erspartes in die Hand – und hatten Probleme mit denselben Unternehmern.

Das Ausmass deckte SRF Investigativ im Herbst auf. Die Recherche des BT zeigt nun: Mittendrin stecken zwei Seeländer und ein Bernjurassier. Dazu kommen zahlreiche Firmen, viele mit Bezug zum Seeland, die seltsam verstrickt sind.

*Name geändert. Selim Demir schämt sich dafür, auf die Planer «reingefallen» zu sein und möchte nicht erkannt werden.

Dies ist Teil 1 einer zweiteiligen Recherche. Die gesamte Geschichte gibt es auf ajour.ch.
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Nicolas Geissbühler

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