Der Kampf der Bauern gegen den Wolf
Im Jura reisst ein Wolf Schafe. Die Bauern müssen mit den Verlusten von Tieren umgehen und wesentlich mehr Arbeit in den Schutz stecken. Entschädigung gibt es kaum. Ein Besuch vor Ort.
20.10.2023, 20:40
Als der Schafzüchter Pascal Donzé vor zwei Wochen auf seine Weide blickte, bot sich ihm ein trauriges Bild: Acht seiner rund 60 Schafe lagen tot und zerfetzt auf der Weide, zwei weitere waren verletzt, die Zäune waren mancherorts von den Schafen in Panik eingetreten worden. «Es glich einem Schlachtfeld», sagt er. Dass es ein Wolf war, der sich in seinen Schafen verbissen hat, ist kaum bestritten, auch wenn die DNA-Analyse noch aussteht.
Geschützt und trotzdem nicht gezählt
Schafbauer Donzé hat all seine Weiden mit einem Elektrozaun gesichert. Dennoch fand der Wolf einen Weg ins Gehege, vermutlich unter den Zäunen hindurch. Das ist auch der Grund, weshalb die Schafe von Donzé nicht zu der Anzahl der Risse zählen, die einen Abschuss des Wolfes rechtfertigen würden.
Denn: An einigen Stellen ist der Zaun nur mit drei statt mit vier Drähten versehen, zudem war das Gras an einigen Orten unter dem Zaun bereits etwas gewachsen, was den Stromdurchfluss behindert.
«Eine Entschädigung gab es nur für die toten Tiere. Der ganze Mehraufwand wird nicht entschädigt», so Donzé. Dazu gehört etwa das regelmässige Mähen unter dem Zaun. Oder die Entsorgung der toten Tiere, die der Landwirt auf eigene Faust durchführen musste, und der Tierarztbesuch mit den verletzten Tieren. Für ihn unverständlich: «Wir sind ja nicht schuld an den Wolfsrissen.»
Grosse Angst um die Schafe
Vier Landwirte sitzen an diesem Morgen am Esstisch des Schafzüchters Pierre Moser in Le Fuet, ein kleines Dorf im Berner Jura, das nicht viel mehr als 250 Einwohnende zählt. Neben ihm und Donzé sind dies noch André von Allmen, Schafzüchter aus Tramelan, und Markus Gerber (SVP), Gemeindepräsident von Saicourt, der Kühe bewirtschaftet. Sie alle hören Donzé kopfschüttelnd zu und sind sich einig: Es muss sich etwas ändern im Umgang mit dem Wolf.
Die vier haben Angst um ihre Tiere. Seitdem sich die Wolfsrisse im Berner Jura häuften, haben alle ihre Tiere auf Weiden in der Nähe des Dorfes gezügelt. Gerber spricht von einem befreundeten Landwirt, der selbst seine Rinder früher von der Sömmerungsweide abzog als nötig. Aus Angst vor einem Wolfsangriff. Und mit der Hoffnung, dass sich der Wolf nicht so nah an die Dörfer heranwagt. Was die Tiere auf der Weide nicht fressen konnten, muss nun durch Heu kompensiert werden. Das müssen die Landwirte ebenfalls aus dem eigenen Sack bezahlen.
Gerber vermisst die Zusammenarbeit zwischen Landwirten und Behörden. In einem so dicht besiedelten Gebiet müssten andere Massstäbe geltend gemacht werden als in den Alpen. «Der Kanton hat nicht das Nötige gemacht», so Gerber.
Das Leiden der Tiere
Sie alle haben ihre Weiden noch nicht voll gegen den Wolf geschützt. Sie zäunten jahrelang so, dass die Schafe nicht ausbrechen konnten. Nun sollen sie mit einem erheblichen Mehraufwand gegen den Wolf zäunen.
«Die Regulation des Wolfes ist die einzige Massnahme, die uns die Arbeit nicht erschwert», sagt Gerber. Für die Landwirte eine emotionale Angelegenheit, wenn immer wieder Tiere aus ihrer Herde gerissen werden – manchmal sind es genau die Schafe, die sich für die Zucht am besten geeignet hätten.
André von Allmen betont derweil, dass zwar strenge Regeln für das Tierwohl gelten. «Aber wenn ein Tier die ganze Nacht in einem Todeskampf leidet, interessiert das niemanden mehr.» Für ihn, der die Schafzucht vor allem als Hobby betreibt, stelle sich bald mal die Frage, ob er seine geliebten Schafe weggeben und seine Nebenbeschäftigung aufgeben müsse.
Daneben sei auch die psychische Belastung der Züchter nicht zu vergessen: Donzé schlafe seit den Rissen wesentlich schlechter, obwohl seine Tiere nun auf einer Weide in der Nähe des Hauses grasen. Jeder Züchter wolle schliesslich möglichst gut für seine Tiere sorgen. Und keine Schutzmassnahme nütze zu 100 Prozent.
Drei Hunde im Schafspelz
Herdenschutzhunde seien keine Option, die Schafzüchter hätten zu wenig Tiere, dass sich das lohnen würde. Anders sieht das bei Ronald Sommer in Monible aus: Er hat rund 450 Schafe – und fünf Hunde. Drei davon sind Herdenschutzhunde, zwei sind Hütehunde.
Die Herdenschutzhunde leben das ganze Jahr hindurch mit den Schafen auf der Weide oder im Stall. Und das sei bereits die erste Herausforderung, erklärt Sommer. Man brauche einen genügend grossen Stall für ein gemeinsames Leben von Schafen und Hunden. Und Weiden, die nicht ständig von Hundehalterinnen begangen werden.
Während die Fachstelle Herdenschutz Agridea Herdenschutzhunde vermittelt und auch finanziell stark unterstützt, hat sich Sommer seine Hunde privat angeschafft. Sonst wäre er auf eine Warteliste mit einer Wartezeit von zwei bis drei Jahren gekommen. Und: «Walliser oder Bündner wären dann noch bevorzugt worden, weil sie in einem stärker bedrohten Gebiet wohnen», so Sommer. Der Jura sei halt damals keine prioritäre Zone gewesen.
So hat er sich vor gut zwei Jahren zwei junge Kangal-Hirtenhunde angeschafft und diese selbst ausgebildet. Mittlerweile haben die beiden bereits für Nachwuchs gesorgt und ein kleiner Hirtenhund-Wildfang tollt zwischen den Schafen über die Weide.
Vandalen auf den Weiden
Auch er betont, dass die Hunde für ihn einen bedeutenden Mehraufwand – auch finanziell – bedeuten, der nicht entschädigt wird. Zudem hat er noch mit anderen Problemen zu kämpfen. Vandalismus zum Beispiel.
So hat er an seiner Weide, über die ein Wanderweg führt, Schilder angebracht, die Wanderer den richtigen Umgang mit den Hunden lehren sollen. Diese wurden diesen Sommer verschmiert. «Aggressive Hunde» stand etwa mit schwarzem Filzstift draufgeschrieben.
Die Hunde bellen zwar, als der Landwirt die Weide betritt, begrüssen ihn danach aber freudig. Aggressivität ist nicht zu erkennen. «Wenn man ruhig bleibt und nicht wegrennt, machen die gar nichts.» Er findet, wer den Wolf akzeptiere, müsse auch seine Hirtenhunde akzeptieren können.
Sommer sagt, er habe noch keine Probleme mit dem Wolf gehabt. Das habe aber auch damit zu tun, dass er einer der Ersten sei, der Schutzhunde hat. «Der Wolf ist ein Opportunist, er greift dort an, wo es am einfachsten ist», so Sommer. Gegen ein Wolfsrudel würden seine zweieinhalb Schutzhunde dann auch nichts mehr ausrichten können.
Zwischen Mountainbike-Wegen und Wolfsschutz
Die Wanderwege über seine Weide hätten ausserdem noch ein anderes Problem: Zwar hat Sommer Durchgangsgatter für Wandererinnen und Mountainbiker installiert. Da diese nicht unter Strom stehen, zählt seine Weide nicht als komplett geschützt. «Die Tore elektrifizieren kann ich aber auch nicht, sonst kriege ich Probleme mit den Wanderern», sagt er.
Schliesslich sehen sich alle fünf Landwirte mit der Herkulesaufgabe konfrontiert, ihre Herden vor dem Wolf zu schützen, ohne kaum Unterstützung dafür zu haben. Sie fühlen sich hintergangen, haben den Eindruck, dass ihnen Lügen erzählt wurden, als es um die Rückkehr des Wolfes ging. «Man hat uns angelogen», sagt Sommer.
Er schätzt, dass durch den Wolf Biodiversität verloren geht: «Schafe arbeiten gegen die Verwaldung und Verbuschung des Geländes. Haben wir keine Schafe mehr, haben wir auch immer weniger artenreiche Bergwiesen.»
Laut Donzé vermutet die Wildhut zwischen drei und zehn Wölfen im Berner Jura. Einen davon abzuschiessen könne auch als Abschreckung für die anderen Wölfe helfen, sagt er.