«Es ist frustrierend»: Ein Tag bei abgewiesenen Asylsuchenden im Rückkehrzentrum
Überleben mit zehn Franken pro Tag und ohne Zukunftsaussicht: Damit schlagen sich die Bewohner täglich herum, Mitarbeiter ebenso. Ein Besuch im Rückkehrzentrum in Büren.
15.11.2025, 6:53
Es riecht leicht verbrannt, vor allem aber wunderbar nach Essen, das gerade gekocht wird. Um den grossen Herd stehen fünf junge Männer, einer bäckt gerade Pfannkuchen, es wird angeregt diskutiert. Der Raum ist gut geputzt – bis auf eine Herdplatte, auf der etwas ausgeleert und angebrannt ist.
Die Männer sind abgewiesene Asylsuchende, die im kürzlich eröffneten Rückkehrzentrum im Häftli in Büren auf ihre Ausschaffung warten – manche werden noch jahrelang warten müssen. Und hier in Büren sind es eben ausschliesslich Männer. Sie befinden sich im Erdgeschoss eines ehemaligen Firmenverwaltungsgebäudes, das immer wieder umgebaut wurde.
Das Putzen des gesamten Gebäudes ist das einzige Ämtli, das den Bewohnern auferlegt werden kann. Erfüllen sie ihre Pflichten dort nicht, so können sie aus der Nothilfe ausgeschlossen werden. Das Kochen hingegen ist ihnen selbst überlassen, genauso wie das Einkaufen.
Denn die Nothilfe, wie sie abgewiesene Asylsuchende bis zu ihrer Ausreise beantragen können, umfasst nur drei Dinge: Unterkunft, Krankenversicherung und eine finanzielle Unterstützung von zehn Franken pro Tag. Für alles andere sind die Bewohner selbst verantwortlich.
Alain Willi von der Betreiberfirma ORS Service AG ist in Büren Zentrumsleiter. Er bringt einiges an Erfahrung mit: Es ist bereits sein fünftes Zentrum, das er leitet. Er ist ernst und bestimmt, aber freundlich zu den Bewohnern, findet mit allen einen Weg zur Kommunikation – auch wenn sie weder Deutsch noch Englisch oder Französisch sprechen.
Seine Erfahrung scheint es in diesem Job zu brauchen, so viele Faktoren spielen für ein friedliches Zusammenleben im Zentrum eine Rolle. Er weiss, welche Nationalitäten man am besten zusammen in ein Zimmer steckt, und welche man zwingend trennen muss. Er kennt seine Bewohner, manche seit Jahren. Denn Willi war zuvor Zentrumsleiter in Bern-Brünnen, welches vor einigen Monaten nach Büren gezügelt wurde – zusammen mit den Bewohnern.
Zwei der Bewohner in der Küche sind Ali von der Elfenbeinküste und Juliano aus Benin. Beide sprechen Französisch, beide haben ähnliche Geschichten erlebt: In Ländern mit patriarchalen Strukturen seien sie von ihren Familien verstossen worden – von Onkeln, nachdem die Eltern gestorben waren. Ihnen sei mit dem Tod gedroht worden, erzählen sie. So flüchteten sie – Juliano per Flugzeug direkt in die Schweiz. Und Ali über den beschwerlichen Landweg nach Algerien und Tunesien und schliesslich per Boot übers Mittelmeer.
Ali war zum Zeitpunkt seiner Flucht erst 13 Jahre alt, heute ist er knapp volljährig. Er durfte nie zur Schule gehen und kann weder lesen noch schreiben. Sein sehnlichster Wunsch: Zur Schule gehen und dies lernen. Und auch Juliano sagt: «Ich würde gerne etwas arbeiten und mich integrieren.»
Sie waren zuvor beide im Zentrum in Bern-Brünnen und schätzen den Umzug sehr: «Brünnen war fürchterlich, wie in einem Gefängnis», sagt Juliano zur unterirdischen Anlage. Hier in Büren sei es hingegen toll. Sogar die Leute auf der Strasse würden hier zurückgrüssen, sagt er. Das Schwierige sei aber auch hier, dass man nie wisse, was passiert. «Das ist ermüdend.»
Diese Ermüdung kennt Zentrumsleiter Willi gut. Er habe mehrmals beobachtet, wie Bewohner schizophren wurden, weil sie nicht mit der jahrelangen Ungewissheit klarkamen. Deswegen seien Gespräche mit dem Seelsorger, der zweimal die Woche ins Zentrum in Büren kommt, enorm wichtig. Diese würden von den Bewohnern enorm geschätzt, sagt Willi.
Aber auch Willi und seine Mitarbeiter – auch sie sind alles Männer – sprechen regelmässig mit den abgewiesenen Asylsuchenden. «Wir weisen sie immer mal wieder darauf hin, dass eine freiwillige Ausreise finanziell unterstützt wird.» Wenn sie ein Projekt in ihrem Herkunftsland haben, könne die Schweiz gar eine Starthilfe dafür sprechen. Willi habe aber noch nie erlebt, dass jemand einen solchen Projektvorschlag einreicht. Auch Ali und Juliano sagen: Es gehe nicht um Geld, sondern um Sicherheit. Das sei der Grund, weshalb sie nicht zurückreisen könnten.
Fürs Smartphone wird gehungert
Im Raum neben der Küche schauen mehrere Männer fern und diskutieren dazu, einer sitzt am Tisch und starrt vor einem Teller in sein Smartphone. «Ein Handy haben alle. Das ist das Erste, das sie brauchen und dafür wird teils auch gehungert», sagt Willi. Wi-Fi stelle die ORS zur Verfügung, erklärt er.
Willi führt durch die Räume, in die Zimmer im ersten und zweiten Stock. Zweier- bis Sechserzimmer gibt es, ein einzelnes Achterzimmer. Das sei sehr viel angenehmer als in den 20er-Zimmern in Brünnen, sagt Willi. Für die Bewohner, aber auch für ihn und seine Mitarbeiter. Es gebe wesentlich weniger Streitereien und mehr Ruhe, gerade in der Nacht.
Einige der Zimmer sind ordentlich aufgeräumt, andere eher chaotisch und die Metallrahmen der Hochbetten sind mit Kleidern behangen. Das Ganze wirkt wie eine Mischung aus Arbeiterbaracke, Kaserne und Lagerhaus und ist an diesem Nachmittag gut belebt: Mindestens 20 Männer sind dort.
Das sind nicht alle Bewohner, denn sie sind in Büren nicht eingesperrt. Sie müssen sich einmal pro Tag zu festgelegten Zeiten mit einer Unterschrift bei den Mitarbeitern melden. Und sie müssen dort übernachten. Sonst kann ihnen als letzte Massnahme die Nothilfe gestrichen werden, und sie könnten so auch des Zentrums verwiesen werden. Willi versichert: Er und seine Mitarbeiter würden mitbekommen, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält.
Er führt in den zweiten Aufenthaltsraum im Haus. Darin sind ein Ecksofa und ein Töggelikasten, an dem vier Männer spielen.
Mehr als die Hälfte der 44 derzeitigen Bewohner sind laut Willi sogenannte Dublin-Fälle: Viele von ihnen haben in Italien Asyl beantragt und sind dann in die Schweiz gereist. Gemäss Dublin-Abkommen ist demnach Italien für den Fall zuständig – das Land will aber keine Asylsuchenden mehr zurücknehmen. So warten diese Männer auf unbestimmte Zeit in Büren auf ihre Rückreise nach Italien. «Dass die Rückführungen nach Italien sehr schwierig sind, hat sich in gewissen Gruppen Asylsuchender herumgesprochen», sagt Willi. Dafür habe man mit den Dublin-Fällen keine Probleme, «weil sie etwas zu verlieren haben».
Ein anderer Teil habe Rechtsmittel offen, so Willi. Folglich sei die Ausschaffung ausgesetzt, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Und gewisse Länder verweigern eine Rückführung ihrer Landsleute komplett, wie etwa der Iran.
Ein Beispiel für diese Praxis ist Saki, der aus dem Iran stammt. Er ist bereits seit elf Jahren in der Schweiz, verbrachte die meiste Zeit in Rückkehrzentren. Und dies dürfte wohl noch eine Weile so bleiben. Er hat gelernt, möglichst mit dem System klarzukommen, versucht Freundschaften über Länder- und Religionsgrenzen hinaus zu finden. Dennoch bleibt nicht viel zu tun.
«Es ist ein bisschen langweilig, aber wir machen das Beste daraus», sagt er in ziemlich gutem Deutsch. Seine Tage bestehen vor allem aus Einkaufen, Kochen, Sport treiben und Spazieren. Er hilft im Zentrum mit, wo er kann – derzeit beim Aufbau eines Regals. Es sei schön hier, sagt er mit Blick aus dem Fenster.
Hinter ihm ist eine Terrasse, darauf alte, einfache Fitnessgeräte. Einer der Männer raucht daneben. Im Vergleich zu Brünnen hätten sich hier die internen Konflikte um 80 Prozent reduziert.
Für Probleme sorgen eigentlich nur drei Sorten von Typen, sagt Willi: Kriminelle, Drogensüchtige und psychisch Kranke. Diese seien zwar klar in der Minderheit, und das Personal kenne die Menschen und ihre Tücken. Trotzdem sei Willis Team in einem Deeskalationstraining. Und es gibt im Zentrum Alarmknöpfe, die direkt die Polizei alarmieren. Grundsätzlich müsse er aber sein Personal mit Bedacht wählen. Sie seien kein Sicherheitsdienst, hätten aber strenge Hausregeln, die sie durchsetzen. Drogen – auch Alkohol – und Waffen etwa sind streng verboten. Bei Verstoss kann die Nothilfe entzogen werden.
«Es gibt das gesamte Spektrum an Leuten in den Zentren, von am Boden Zerstörten bis zum abgebrühten Kriminellen. Und innerhalb von zehn Minuten musst du dich mit beiden beschäftigen.» Das sei aber auch das Spannende. Kein Traumjob, gibt Willi zu, doch für ihn genau das Richtige, weil so abwechslungsreich und komplex.
Ausschaffungen sind selten
Er selbst weiss auch nie, wann jemand ausgeschafft wird, erfährt es immer erst kurz vorher. Je nachdem informiert er den diensthabenden Mitarbeiter. Dann werden die Bewohner von der Polizei abgeholt, immer morgens. Seit dem Bezug des Zentrums in Büren habe es gemäss Willi zwei Dublin-Rücküberstellungen, aber noch keine Ausschaffung gegeben. Der Bund bezahlt die Ausreise. Die gesamten Ein- und Austritte im Zentrum aber sind höher: Manchmal sind es zwei in einer Woche, manchmal 20, die kommen und gehen, so Willi. Meist tauchen Leute unter, wechseln ins nationale Verfahren oder gehen für Haftstrafen ins Gefängnis.
Von Willis Mitarbeitern ist rund um die Uhr einer vor Ort. Sie arbeiten mit mindestens drei Schichten, je nachdem sind tagsüber zwei oder drei Leute im Zentrum. Ein guter Teil der Arbeit sei technisch, sagt Willi. Also etwa Waschmaschinen flicken oder Betten aufbauen.
Dazu komme die medizinische Erstversorgung und die Sicherstellung des Putzplans. Auch die Formulare für Ein- und Austritte würden einiges an Zeit brauchen, genauso wie die Präsenzkontrolle. Dazu kommt die Betreuung der Bewohner, also etwa Vermitteln in Konflikten. Das komme oft zu kurz, weil es sonst sehr viel zu tun gäbe, sagt Willi. Er selbst ist rund um die Uhr für seine Mitarbeiter erreichbar. Für den Fall, dass etwas passieren sollte.
Zweimal die Woche kommt eine Pflegefachfrau ins Zentrum, die allenfalls an den Hausarzt im Dorf weiterverweist.
Willi öffnet die Türe zu seinem Büro mit einem Schlüssel. Er scheint genau zu wissen, wie man ein solches Zentrum führen muss. Er hat viel erlebt in seiner Zeit als Zentrumsleiter, wurde mehrmals angezeigt und bedroht. «Aber nie so, dass ich Angst gehabt hätte.»
Er sieht mittlerweile Probleme im ganzen System. «Die Machtlosigkeit der Behörden ist ernüchternd, der Vollzug frustrierend», sagt er. Aus den Zentren Ausgeschlossene würden trotzdem immer wieder reinkommen. «Am Ende des Tages setzen wir hier nur Vorgaben um.» Und er sagt sich, dass es nicht seine Schuld ist, dass die Männer hier sind, so könne er Arbeit und persönliche Betroffenheit trennen.