ReportagenSeeland

Reise ins Seeland im Ausland: Ein Roadtrip auf Arbeitszeit

Büren gibt es nicht nur an der Aare, sondern auch in Deutschland. Dort liegt es gleich an zwei Flüssen. Eine Gemeinde zwischen Hexen, Heiligen und SS-Offizieren.


Nicolas Geissbühler (Bieler Tagblatt)

15.08.2025, 22:30

Sommerloch ist Serienzeit: Die Sommerserie des BT 2025 hiess: «Das Seeland in der Welt – die Welt im Seeland». Gelegenheit also, einen Roadtrip zu «Seeländischen» Ortschaften im Ausland zu machen.

So haben sich die beiden Redaktoren Nicolas Geissbühler und Simon Leray gemeinsam mit Fotograf Dominik Rickli auf die Reise nach Deutschland gemacht. Bis an die Nordsee ging es, zu vier Gemeinden, die gleich heissen wie Gemeinden im Seeland. In einer vierteiligen Miniserie haben sie die vier Ortschaften vorgestellt.

Teil 1: Büren in Westfahlen

Büren liegt in einer hügeligen Landschaft, umgeben von Wäldern. «Ein Wandergebiet», sagt die Presseverantwortliche der Gemeinde, Annalena Henke – und reagiert etwas überrascht, als sie gefragt wird, wo es denn hier Berge gebe. «Na, überall», und deutet mit ausladender Handbewegung auf die Hügel rundherum.

Blick auf die Stadt Büren von einem Hügel aus. Dominik Rickli

Die Stadt Büren wurde zwar erst 1195 von den Edelherren von Büren als Stadt gegründet, war davor bereits während 300 Jahren eine Bauernsiedlung. Das Adelsgeschlecht der Edelherren regierte dann die Stadt auch über viele Jahrhunderte hinweg und baute eine Burg, dort, wo die Flüsse Alme und Afte zusammenschliessen – und sich auch die heutige Stadt Büren befindet.

Die frühgotische Kirche Bürens
Die frühgotische Kirche Bürens

Eine Burg gibt es heute aber nicht mehr. Diese musste einem anderen grossen Bauwerk weichen, dem Jesuitenkolleg, samt Kirche. Das grosse weisse Gebäude der Ordensschule dominiert das Ortsbild von Büren.

Das ehemalige Jesuitenkolleg in Büren ist heute ein Gymnasium.

Es wurde von 1717 bis 1728 gebaut, nachdem der letzte Edelherr von Büren verstarb und sein Vermögen dem Jesuitenorden vermachte. Die Jesuiten rissen die Burg ab und bauten ein barockes, u-förmiges Gebäude an deren Stelle, später kam eine Kirche dazu. Allerdings wurde der Jesuitenorden 1773 aufgehoben – nur ein Jahr, nachdem die Kirche fertig gebaut war.

Heute ist die Kirche eine der bedeutendsten Barockkirchen Westfalens, so Henke – und im ehemaligen Jesuitenkolleg ist ein Gymnasium.

  • Nordrhein-Westfalen, Deutschland
  • 21’593 Einwohnende (Stadt Büren 8609)
  • 170 Quadratkilometer Fläche, knapp 50 Prozent davon Landwirtschaftsfläche, 38 Prozent Wald
  • 12 Ortschaften

Wir haben in unserer Reiseplanung einen kapitalen Fehler gemacht: Wir haben Büren an einem Montag besucht. Montags sind fast alle Restaurants und Cafés geschlossen, die Stadt wirkte daher etwas ausgestorben. Wir assen deshalb nicht in einer traditionellen Gaststätte, sondern in einem asiatischen Fusion-Restaurant (die Ente und die gebratenen Nudeln waren allerdings sehr lecker).

Zudem haben wir eher unerfreuliche Bekanntschaft mit der lokalen Bevölkerung gemacht: Als wir die Wewelsburg von einem Feld aus fotografieren wollten, versperrte uns ein Landwirt mit seinem Traktor den Weg und murrte uns an, dies sei ein Privatgrundstück. Wohlgemerkt handelte es sich um ein abgegrastes Kuhfeld.

Und es gibt noch etwas Weiteres über Büren zu sagen: In einem Wald, weit weg von den Dörfern, befand sich während des Kalten Krieges ein streng geheimes Atomwaffenlager, das Sondermunitionslager Büren. Gelagert wurden dort Boden-Luft-Raketen mit atomaren Sprengköpfen, bewacht wurden diese von der belgischen und der niederländischen Armee. Das Lager wurde nach dem Kalten Krieg aufgehoben. Und heute befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Truppenunterkünfte die grösste Abschiebehaftanstalt ganz Europas. Diese haben wir aber nicht besucht.

Wir haben in unserer Reiseplanung einen kapitalen Fehler gemacht: Wir haben Büren an einem Montag besucht. Montags sind fast alle Restaurants und Cafés geschlossen, die Stadt wirkte daher etwas ausgestorben. Wir assen deshalb nicht in einer traditionellen Gaststätte, sondern in einem asiatischen Fusion-Restaurant (die Ente und die gebratenen Nudeln waren allerdings sehr lecker).

Zudem haben wir eher unerfreuliche Bekanntschaft mit der lokalen Bevölkerung gemacht: Als wir die Wewelsburg von einem Feld aus fotografieren wollten, versperrte uns ein Landwirt mit seinem Traktor den Weg und murrte uns an, dies sei ein Privatgrundstück. Wohlgemerkt handelte es sich um ein abgegrastes Kuhfeld.

Und es gibt noch etwas Weiteres über Büren zu sagen: In einem Wald, weit weg von den Dörfern, befand sich während des Kalten Krieges ein streng geheimes Atomwaffenlager, das Sondermunitionslager Büren. Gelagert wurden dort Boden-Luft-Raketen mit atomaren Sprengköpfen, bewacht wurden diese von der belgischen und der niederländischen Armee. Das Lager wurde nach dem Kalten Krieg aufgehoben. Und heute befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Truppenunterkünfte die grösste Abschiebehaftanstalt ganz Europas. Diese haben wir aber nicht besucht.

Die Hexenburg

Der letzte Edelherr von Büren, Moritz von Büren, der dem Jesuitenorden grosszügig seine Stadt vermacht hat, ging auch durch andere, eher unrühmliche Taten in die Geschichtsbücher ein. Zeugnis davon ist die Burgruine Ringelstein im nahe gelegenen Dorf Harth. Sie thront auf einem Hügel, am Fuss ist eine Kapelle.

Die Hexenburg in Harth

Hinter dem Vereinshaus der Schützenbruderschaft Harth stehen die Überreste der Burg, teilweise wieder aufgebaut durch ein Arbeitsprogramm für Langzeitarbeitslose und Suchtkranke oder von Freiwilligen aus dem Dorf. Das sei wunderschön mit anzusehen gewesen, sagt Elisabeth Rüsing. Sie kommt aus Harth und macht öffentliche Führungen durch die Burgruine. Die Langzeitarbeitslosen hätten die Burgruine voller Tatendrang wieder aufgebaut, stets unterstützt von ein paar Motivierten aus dem Dorf. Letztere würden sich immer noch ab und zu treffen, um weiter zu restaurieren und zu unterhalten.

Elisabeth Rüsing mit Simon Leray (links) und Nicolas Geissbühler (rechts) in der Burgruine. Dominik Rickli

Man gehe heute davon aus, dass die Burg ein Jagdsitz oder eine sonstige Sommerresidenz der Edelherren von Büren gewesen ist, sagt Rüsing.

Dominik Rickli

«Es gibt keine Indizien auf eine Wehrfunktion der Burg», sagt sie. Nur eine einzige Belagerung habe es nachweislich gegeben, wohl ein Familienstreit, bei dem ein paar Cousins ein paar unverheiratete Töchter der Edelherren belagert hätten, sagt Rüsing und lacht. Aber: Während des Dreissigjährigen Kriegs gab es eine Vielzahl an Hexenprozessen auf der Burg Ringelstein.

Ein Teil der Burgmauern wurde nachträglich wieder aufgebaut. Dominik Rickli
An der Mauer erkennt man gut, welche Teile original sind und welche nachträglich wieder aufgebaut wurden. Dominik Rickli
Teilweise sind die Gemäuer sehr alt.

Belegt seien die Verurteilungen von über 80 Personen, «es dürften aber weit mehr gewesen sein», sagt Rüsing. Die klare Mehrheit davon waren Frauen. Zum Höhepunkt im Jahr 1631 wurden innert 30 Tagen 50 Personen verurteilt und hingerichtet. Eine einzige Person sei nachweislich freigesprochen worden, alle anderen verurteilt.

Teilweise seien haarsträubende Dinge auf den Listen, die in den Ruinen gefunden wurden, als Grund aufgeführt. «X.Y. wollte mir kein Pferd ausleihen», etwa. «Und das reichte dann, dass man diese Menschen auf furchtbarste Art und Weise folterte und umbrachte», sagt Elisabeth Rüsing mit ernster Miene.

 

Durch die «Nagelprobe» (mit einem Nagel wird ein Muttermal oder eine Warze aufgestochen), die «Wasserprobe» (die angeklagte Person wird ins Wasser geworfen) und die «Eisenprobe» (ein Stück glühendes Eisen wird der angeklagten Person in die Hände gelegt) wurden die Angeklagten zu Geständnissen gezwungen. Überlebten sie die Probe unbeschadet, so galten sie als Hexen.

Für diese Folter wurde extra ein «Hexenkeller» gebaut. Dieser wurde durch Zufall wiederentdeckt, als einige Vereine im Dorf ein Blockhaus bauen wollten. Da wurde ein Hohlraum unter der Ruine entdeckt, der dann archäologisch ausgegraben wurde. Zum Vorschein kamen der Keller, der als Kerker diente, dazu zahlreiche Artefakte, wie etwa Urkunden und ein Paar Handschellen, die Rüsing in einer Kartonkiste, gut in Frotteetücher eingehüllt, mitbringt.

Im Hohlraum unter der Ruine kam ein Keller zum Vorschein. Dominik Rickli
Eine Handschelle, die im Kerker gefunden wurde. Dominik Rickli
Das Kellergewölbe. Dominik Rickli

2005 wurde der zweite Keller ausgehoben, stets mit leichtem Widerstand der Dorfbevölkerung, da diese die Wiese in der Ruine jeweils für das Schützenfest brauchte, denn sie ist sozusagen ihr Schiessplatz. An den Schützenfesten wird nämlich auf einen Holzvogel geschossen, der an einem Mast neben der Ruine hochgezogen wird.

Das kleine Fenster, das heute das beliebteste Fotomotiv der Ruine ist, ist nicht original: Es wurde erst zum Ende des 19. Jahrhunderts vom damaligen Besitzer aufgebaut.

Dominik Rickli

Heute will die Gemeinde an die Hexenverfolgung erinnern. Anfragen für etwaige Hexenfeste lehnt sie ab. «Es ist ein Mahnmal für diese schreckliche Zeit», sagt Rüsing.

Die Stadt Büren

Ausgangspunkt für den Rundgang durch das Städtchen auf dem Rücken zwischen den Flüssen Alme und Afte ist ein Parkplatz im Zentrum. Eine grosse, metallene Tafel weist auf die Besonderheit dieses Parkplatzes hin: Hier stand einst die Synagoge der Stadt, denn Büren hatte einst eine jüdische Gemeinde. Die Synagoge wurde allerdings im Zuge der Novemberpogrome zerstört.

Erinnerung an die zerstörte Synagoge

Gleich gegenüber befindet sich die Kirche von Büren, eine spätromanische, katholische Pfarrkirche. Sie ist dem heiligen Nikolaus gewidmet und im Inneren befinden sich zahlreiche Artefakte und Reliquien aus dem Mittelalter. Spannend ist auch die Geschichte der Orgel, denn sie zählt zu einer der bedeutendsten in Westfalen. Sie wurde 1744 für das nahe gelegene Kloster Böddeken hergestellt. Als das Kloster 1803 aufgelöst wurde, kam die Orgel nach Büren.

Das Innere der Nikolaus-Kirche in Büren

Vor der Kirche fallen die kleinen Brunnen auf, ein sogenannter Kump. Früher standen sie überall im Städtchen und versorgten die Bevölkerung mit Wasser. Dahinter erstreckt sich der Marktplatz, zwar kaum mehr mit historischer Bausubstanz, dafür alles in einem Stil gebaut, der einen die historische Form sehr gut erahnen lässt.

Vorbei an Fachwerkhäusern geht es nun den sanften Hügel hinunter, wo sich die Almeauen erstrecken. Das Parkgelände gehört zum Jesuitenkolleg und ist heute ein weitläufiges Freizeitgelände mit Skatepark und weiteren Sportanlagen. Einmal im Jahr findet das Festival BOA Rocks statt.

Die Parkanlage Almeauen grenzt an das Jesuitenkolleg an. Dominik Rickli

Zwischen Park und Stadt stehen zwei besonders alte Gebäude, die beiden Mühlen Mittelmühle und Bohrmühle. Die Mittelmühle ist vermutlich gar das älteste noch erhaltene weltliche Gebäude der Stadt und war die eigentliche Stadtmühle, in der die Bürgerinnen und Bürger von Büren ihr Korn mahlen konnten.

Einen anderen Zweck hatte die Bohrmühle gleich daneben: Sie war dazu angelegt, Baumstämme der Länge nach zu durchbohren, um daraus Wasserrohre zu machen. Diese wurden für die Wasserversorgung der Stadt gebraucht und belieferten die Kümpe, von denen einer heute noch bei der Kirche zu finden ist.

Die Bohrmühle stand aber nicht schon immer neben der Mittelmühle: Da das Wasser der Alme aber den Edelherren vorbehalten war, wurde die Bohrmühle ursprünglich an der Afte errichtet und 1745 auf das Grundstück der Jesuiten versetzt. Heute sind beide Mühlen Museumsgebäude.

Die Bohrmühle in Büren. Das Gebäude rechts ist die Mittelmühle. Dominik Rickli

Anschliessend an die Parkanlage erstreckt sich das ehemalige Jesuitenkolleg mit der frei stehenden Jesuitenkirche «Maria Immaculata», gleich dahinter erstreckt sich ein grosser Platz, auf dem eine moderne «I Love BÜR»-Skulptur (BÜR ist das Autonummer-Kennzeichen von Büren) steht, dahinter die eher speziell anmutende Stadtverwaltung. Diese ist teils im historischen Ratshaus, das ursprünglich ein Witwenhaus des Edelherren von Büren war, und teils in einem modernen Gebäude aus viel Beton untergebracht.

Touristischer Schriftzug mit dem Autokennzeichen Bürens.

Die Wewelsburg

Das Wahrzeichen der Gemeinde Büren steht nicht in der Altstadt selbst, sondern im kleinen Ort Wewelsburg. Die gleichnamige Burg ist zwar nicht besonders alt, allerdings hat sie eine besondere Form: Sie hat einen dreieckigen Grundriss.

Bekannt wurde sie erst im letzten Jahrhundert, während der nationalsozialistischen Zeit zwischen 1934 und 1945. Heinrich Himmler, der «Reichsführer SS», war offenbar besonders von der Burg von Anfang des 17. Jahrhunderts angetan. Der Bürener Adolf von Oeynhausens, der Himmler auf die Burg aufmerksam gemacht hatte, wurde von der Stadt gar zum Ehrenbürger ernannt. Diese Ehrenbürgerschaft endete mit dem Tod von Oeynhausens im Jahr 1953 – allerdings nur aus juristischer Sicht, auf Listen der Stadt ist Adolf von Oeynhausens weiterhin als Ehrenbürger aufgeführt. Die Stadt sieht dies als unproblematisch, da er de facto kein Ehrenbürger mehr sei.

Die Wewelsburg in Büren

Himmler hatte grosse Pläne mit der Burg. Erst plante er eine Schulungsstätte für SS-Führer. Ab Kriegsbeginn kam zunehmend eine mystische Komponente hinzu, unter hohem Kostenaufwand sollte die Wewelsburg zur «Gralsburg» umgebaut und so zum Versammlungsort der SS-Generäle werden. Die Vorlage hierzu bildeten die Sagen um König Artus und die Ritter seiner Tafelrunde.

Baulich wurde die Burg in dieser Zeit stark verändert und ausgebaut. In den Anfangsjahren erhielt sie eine komplett neue Inneneinrichtung mit SS-Ornamentik, das Äussere wurde durch Entfernen des Putzes wieder «burgähnlicher» gestaltet. Rund um die Burg ist eine Vergrösserung geplant gewesen, anschliessend an die historische Burg hätte eine riesige moderne Burganlage gebaut werden sollen, in einem Dreiviertelkreis mit einem Durchmesser von mehr als 1,2 Kilometern. Das Dorf hätte dem weichen müssen.

Für diesen Bau errichtete die SS das nahe gelegene Konzentrationslager Niederhagen, welches zunächst dem KZ Sachsenhausen unterstand und dann ein staatliches Hauptlager wurde.

Im März 1945 befahl Heinrich Himmler die Sprengung der bestehenden Anlagen, wobei die Verwaltungsgebäude zerstört wurden und die Wewelsburg vollständig ausbrannte. Heute sind das Historische Museum des Landes Paderborn und eine Jugendherberge in der Burg einquartiert.

Die anderen drei Teile (Aarbergen, Seedorf und Bühl) gibt es auf ajour zu lesen.

In Deutschland gibt es auch ein Aarberg – zumindest fast. Ein Besuch in Hessen, irgendwo zwischen Mittelalter und Postapokalypse.

In der Schweiz ist Bühl ein 500-Seelen-Dorf, in Deutschland eine Kleinstadt mit knapp 30’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Dort sind sie vernarrt in die Zwetschge.

Das andere Seedorf in Deutschland ist klein, aber fein. Und dank den Dorfvereinen voller Leben und Feste.

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Nicolas Geissbühler

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