Wie ein paar Jungs eines der höchsten Feuer der Schweiz bauen
In Seedorf hält eine Gruppe junger Männer eine Tradition am Leben: Sie stellen das 1.-August-Feuer. Ein aussergewöhnliches: Herzstück ist der 22 Meter hohe «Mittelstürmer».
29.07.2025, 18:30
Samstagmittag in Grissenberg, einem Weiler von Seedorf. Es hat geregnet, aber der nasse Asphalt wird langsam von der Sonne getrocknet. Vor einem der stattlichen Bauernhäuser steht eine Gruppe junger Männer in Arbeitskleidung um einen Pick-Up herum. Die Stimmung ist gut und locker, es wird gewitzelt.
Es ist der Nachwuchs des Dorfs und er hält eine Tradition am Leben: Er stellt das 1.-August-Feuer. Dies ist aber in Grissenberg nicht einfach ein Scheiterhaufen, sondern schon fast ein Kunstwerk. Es hat die Form eines Zuckerhuts, mit einem Durchmesser von nur zehn bis zwölf Metern, dafür einer Höhe von 22 Metern. Das Herzstück ist eine 24-Meter-Tanne, die vergraben wird und an die dann andere, kleinere Bäume angelehnt werden.
Der sogenannte «Mittelstürmer». Woher der Name genau kommt, weiss heute niemand mehr, er habe sich «einfach so durchgesetzt». Genau diesen wollen die Jungs an diesem Samstag fällen und dann auf einem Feld wieder stellen. Sie haben vor zwei Jahren einen Verein gegründet, um rechtlich besser abgesichert zu sein. Die «Houzerbuebä Grissenberg».
Fahrzeugtross in den Wald
Der Kassier des Vereins Yanik Schori sammelt die Truppe um sich und instruiert ein letztes Mal. Es ist der Hof seiner Familie, vor dem man sich trifft. Sein Vater führt den Bio-Hof, Schori hilft nebenberuflich, arbeitet sonst an der Hafl (Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften) in Zollikofen. Am Morgen haben er und seine Jungs bereits in den Wäldern einen geeigneten Baum gesucht – und gefunden. Dieser wird nun gefällt. Es verteilen sich alle auf ein paar Fahrzeuge, eines davon ein Traktor mit einem riesigen Anhänger, über Feldwege geht es in den Wald.
«Unsere Väter und Grossväter haben das Feuer lange gestellt», erklärt Schori, während er sich Schutzausrüstung und Helm anzieht. Seit über 50 Jahren gebe es das Grissenberg-Feuer, vor ein paar Jahren habe dann seine Generation übernommen. Schori geht mit Motorsäge zum Baum, den sie am Vormittag ausgesucht haben. Mit geübten Handgriffen macht sich der gelernte Geomatiker ans Werk, die anderen schauen gespannt zu.
Bald fällt der Baum, bleibt aber im Geäst hängen. Die Anspannung ist spürbar, denn wenn der Baum an der falschen Stelle bricht, muss ein anderer gefällt werden. Mit etwas rütteln kann er dann doch zu Fall gebracht werden. Und sofort rennen alle los, um zu sehen, ob der Stamm in einem Stück bleibt. Zunächst schaut alles gut aus, man freut sich schon.
Doch dann die Ernüchterung: Beim ersten Hochheben wird klar: Der Stamm ist etwa fünf Meter unter der Spitze gebrochen. Die Truppe berät sich kurz, entscheidet aber schnell, dass man das flicken kann. Der Baum wird also notversorgt und erhält eine Schiene aus einem Stück Stamm.
Wie per Knopfdruck gerufen fährt ein Teleskoplader – ein geländetauglicher Gabelstapler mit ausfahrbarem Arm – über einen Forstweg durch den Wald. Doch erst muss der Stamm aus dem Dickicht getragen werden. Alle packen an und mit vereinten Kräften wird der Baum angehoben und auf den Waldweg gelegt. Überall ist schweres Schnaufen zu hören.
Weshalb überhaupt der Aufwand? «Es ist faszinierend, etwas so Gewaltiges zu erstellen», sagt Schori. Man sehe jeden Abend den Fortschritt, für den man hart gearbeitet hat. Und das alles mit guten Freunden.
Nun kommen Lader und Traktor zum Einsatz. Vorne wird der Baum auf den Anhänger gehoben und im hinteren Teil hebt ihn der Lader mit dem ausfahrbaren Arm an. So fahren die beiden Fahrzeuge los.
Die mitgefahrenen Autos fahren auf anderem Weg aus dem Wald heraus, um vor dem Tross Verkehrsdienst zu machen oder ihn um komplizierte Kurven zu lotsen.
Alles ist sehr eingespielt, man kennt sich gut. «Wir sind praktisch alle zusammen in der Regiofeuerwehr Aarberg», sagt Schori. Er selbst ist stellvertretender Chef Ausbildung. Das sei optimal, denn sie seien sich so der Risiken des Feuers bewusst und wüssten im Notfall, was zu tun wäre. «Am 1. August haben wir immer zwei Schläuche bereit. Wir gehen kein Risiko ein und warten bei zu starkem Wind lieber eine Stunde», so Schori.
Der «Mittelstürmer» wird herausgeputzt
Der Transportzug fährt auf ein Stoppelfeld, wo bereits ein Loch gegraben worden ist. Der Baum wird abgeladen und der Feinschliff steht an. Der «Mittelstürmer» wird sozusagen schön gemacht. Konkret wird er nochmals sauber entastet und ganz oben unter dem First entrindet. An der Bruchstelle bekommt er eine elegantere Schiene.
Ausserdem wird der Stamm nochmals gemessen und etwas gekürzt. Denn zu hoch soll er auch nicht sein. Sonst müssten die anderen, etwas kürzeren Bäume, die angestellt werden und das eigentliche Feuer bilden, dann dementsprechend auch länger sein. Damit diese auch halten, werden an zwei Stellen Latten als Querstreben angeschraubt.
Unter die Spitze wird eine Schweizer Fahne angebracht – mit Abreiss-Funktion, die auch gleich getestet wird. «Wir wollen ja nicht, dass die Schweizer Fahne verbrennt», sagt Schori. Sie wird vor dem Anzünden am 1. August entfernt.
Nun wird der Baum mit dem Teleskoplader wieder aufgerichtet und somit zum «Mittelstürmer». Schori sägt Keile aus dem Stamm zurecht und schlägt diese ein. Der Stamm hält, als der Lader zurücksetzt, man klatscht ab, es gibt einen Schnupf auf dem Feld.
In den nächsten Tagen wird noch kräftig weitergearbeitet. Wohl um die 100 Kubikmeter Holz müssen die jungen Männer noch sammeln, dazu Festzelte, Tische und Bänke aufstellen, damit am 1. August die Bundesfeier der Gemeinde Seedorf steigen kann. Vor ein paar Jahren hat man einen Deal gemacht, dass die Gemeinde am Grissenberg-Feuer teilnehmen kann. Die «Houzerbuebä» erhalten dafür einen kleinen Pauschalbetrag. Doch jetzt ist erstmals Zeit für ein gemeinsames, kühles Bier im Schatten.