Am Morgen ein Festival in Biel organisieren, am Nachmittag Hotels in Kolumbien managen
Über 40 Mitarbeitende in Hotels und einer Bäckerei in Kolumbien leiten – das macht der Bieler Lukas Hohl. Als wäre das nicht genug, organisiert er von Kolumbien aus auch das Lakelive.
26.05.2025, 19:53
Arbeiten von zu Hause aus macht vieles einfacher. Das wissen die meisten von uns spätestens seit der Coronapandemie. So lassen sich etwa zwei Jobs an verschiedenen Arbeitsorten einfacher kombinieren. Zwei eher spezielle Teilzeitstellen hat Lukas Hohl, der gemeinsam mit Marcel Sallin die Bieler Firma Eventra führt und so das Lakelive Festival organisiert. Er ist in Kolumbien Mitbesitzer zweier Hotels und einer Schweizer Bäckerei – 10’000 Kilometer vom Festivalgelände entfernt. Während Anfang März an den letzten Details des Line-ups gearbeitet wird, sitzt der 33-jährige Hohl in seinem Büro im Hotel in Medellín.
                                    Der Ursprung seiner Projekte in Südamerika liegt in den Wurzeln des Bielers: Seine Mutter ist gebürtige Kolumbianerin, und sein Vater – eigentlich Schweizer – ist ebenfalls in Kolumbien geboren und hat 33 Jahre im südamerikanischen Land gelebt. Hohl selbst hat beide Pässe und wurde mit 17 Jahren – als er erstmals alleine im Land war – selbst vom «Kolumbien-Virus» gepackt, wie er sagt. «Es ist ein riesiges Privileg, das mir in die Wiege gelegt wurde, ohne etwas dafür gemacht zu haben.» Mit der Zeit seien immer wieder Freunde auf Hohl zugekommen, die ihn begleiten und seine zweite Heimat besuchen wollten.
So hat er vor sieben Jahren die Reiseorganisation Kolumbien Entdecken gegründet. Das Ziel war, den Ruf des Landes in der Schweiz zu verbessern. «Kolumbien ist viel mehr als Narcos und Escobar», sagt Hohl. Dazu organisierte er Individualreisen für Schweizer durch Kolumbien. Mittlerweile sind daraus verschiedene Projekte in mehreren Städten mit über 40 Mitarbeitenden entstanden. Im vergangenen Winter ist Hohl zum ersten Mal für drei Monate nach Medellín gezogen und hat unter anderem auch das Festival am Ufer des Bielersee von dort aus mitorganisiert. «Ich bin ohnehin kein grosser Winter-Fan – mit Ausnahme des EHC Biel.»
Zu spät kommen wegen der Zeitverschiebung
Seine Tage in Südamerika waren lang: Um 5.30 Uhr klingelte der Wecker, Arbeitsbeginn war jeweils um 6 Uhr. Der Tag begann im Homeoffice, mit der Organisation für das Lakelive, die Bieler Lauftage und weitere Events in der Schweiz. Wenn Lukas Hohl startete, hatte sein Team in Biel bereits einen halben Tag gearbeitet und es war 12 Uhr. «Die Zeitverschiebung ist eine grosse Challenge», sagt er. Hohl koordinierte bis mittags mit vielen Telefongesprächen, virtuellen Sitzungen und E-Mails die Geschehnisse in der Schweiz – wo dann 19 Uhr war.
                                    Bis etwa 15 Uhr stand die Nachbearbeitung an – danach ging es direkt weiter mit dem zweiten Job, dem Führen von Hotels und Bäckerei in Kolumbien. Es standen Sitzungen mit den Mitarbeitenden der Hotels und der Bäckerei oder Bewerbungsgespräche auf dem Programm. «Oder man musste sich um einen Hotelgast kümmern, der gerade seinen Pass verloren hatte», sagt Hohl lachend.
m Abend genehmigte er sich dann Freizeit und geht Padel oder Fussball spielen oder trifft die Familie in Medellín. So habe er auch am täglichen Leben Kolumbiens teilnehmen können – etwas, was Hohl wichtig war. So sah praktisch jeder Tag aus – und das ganz bewusst: «Die Routine und Disziplin war wichtig, damit ich mich wie zu Hause fühlen konnte.» Nur so konnte der Aufenthalt erfolgreich sein. Für ihn, aber auch für sein Team in der Schweiz.
«Habe die Arbeitsbelastung unterschätzt»
Es gab aber auch Spezialdienste: Als der Bäckereileiter in den Ferien war, hat Hohl um 5 Uhr Brote ausgeliefert. Das waren sehr lange Tage: «Ich habe die Arbeitsbelastung etwas unterschätzt», gibt Hohl zu. Die Geschäfte in Kolumbien zu leiten, brauche viel Energie, gebe aber auch sehr viel zurück: «Es sind sehr viele Leute involviert und alle wollen mit Enthusiasmus mitentscheiden.»
                                    Überhaupt hätten die Menschen in Kolumbien eine enorme Lebensfreude. «Obschon sie oft nicht so viel haben», sagt Hohl. Als er frühmorgens die Brote auslieferte, waren viele Menschen auf dem Heimweg vom Ausgang, und auf den Strassen habe es regelrechte Feten gegeben. Oder als Hohl einen Zahnarzt aufsuchen musste, habe dieser während der Untersuchung gesungen und Videos für Social Media gedreht. Diese unbekümmerte Freude sieht Hohl als einer der Hauptunterschiede zum Leben in der Schweiz. Vergleichen will er die beiden Länder aber nicht zu sehr, eher versuche er, beide zu schätzen.
Dafür werde ihm in Kolumbien jeweils wieder bewusst, «was wir hier in der Schweiz eigentlich für ein Paradies haben». Vieles werde hier als selbstverständlich gesehen und nur selten geschätzt, findet er. Er meint damit etwa Pünktlichkeit, Sicherheit oder die Sauberkeit der öffentlichen Räume.
«Bei einem Bewerbungsgespräch kam eine Person mal 25 Minuten zu spät und hat dann so getan, als wäre nichts, was ich nicht akzeptabel fand und auch ansprach. Aber der Geschäftsführer des Hotels meinte dann, dass das eigentlich normal sei.» Etwas, was schwierig zu verstehen und zu akzeptieren sei, sagt Hohl.
«Jefe» wider Willen
So habe er erst lernen müssen, dass er sich grundsätzlich an die südamerikanische Arbeitskultur anpassen muss und nicht umgekehrt. Und auch, dass er immer nur «Jefe» genannt wird. «Ich mag das nicht. Aber für sie gehört das dazu», sagt er und lacht.
Wobei sich die Angestellten, von denen viele aus den Favelas – also den Armenvierteln – kämen, auch etwas an den Schweizer «Jefe» angepasst hätten: «Sie packen alle von sich selbst mit an, was man dort eher selten sieht.» Grundsätzlich werde aber alles erst sehr lange diskutiert, bevor etwas umgesetzt werde. «Oder die Diskussionen versanden einfach.» Das sei am Anfang schwer gewesen: «Ich gehe lieber etwas direkt an und treffe dafür dann auch mal eine falsche Entscheidung», so Hohl.
                                    Trotzdem fühlt er sich in Kolumbien mindestens genauso wohl wie in der Schweiz: «Rein optisch bin ich der absolute Ausländer in Kolumbien.» Wenn die Menschen dann aber seinen Medellín-Akzent hörten, seien viele überrascht.
Die Schwester der Botschafterin als Krankenschwester
Er schätze die herzliche und unkomplizierte, spontane Art der Kolumbianerinnen und Kolumbianer. Er erzählt von einem spontanen Frühstück mit der kolumbianischen Botschafterin, als ihn plötzlich starke Rückenschmerzen packten. Sie fuhren in eine Apotheke, um eine Spritze zur Entspannung zu holen, doch die Mitarbeitenden in der Apotheke wollten diese nicht verabreichen. So wurde Hohl kurzerhand von der ihm unbekannten Schwester der Botschafterin im Hotelzimmer gepikst.
Ähnlich unkompliziert musste Hohl dieses Jahr die Verkündung der Acts für das Lakelive gestalten: «Es war bei mir 3 Uhr in der Nacht, ich war in der Backstube der Bäckerei in Medellín und habe Interviews mit Radio und Fernsehen gegeben», sagt Hohl und lacht. Die wichtigste Erkenntnis seiner Auswanderung auf Zeit? «Wo man ist, spielt keine Rolle.»